In einem dunklen, dicht gefüllten Raum im Keller der Bremer Finanzbehörde lagern historische Möbelstücke: zwei Vitrinenschränke, drei Stühle und ein Papierkorb. Die Objekte weisen Spuren wie Aufkleber, Stempel und Kreidenummern auf, die zu dem Verdacht führten, dass sie nicht hierhergehören, sondern womöglich aus Versteigerungen von Hausrat stammen, der als jüdisch Verfolgten in der NS-Zeit geraubt wurde.
Bereits während des Nationalsozialismus hatten die Bremer Finanzämter ihren Sitz im Haus des Reichs, dem heutigen Standort des Senators für Finanzen. Von dort aus wurde die systematische Enteignung von als jüdisch Verfolgten organisiert, hier wurden Versteigerungen beauftragt. Dabei behielt die Behörde auch selbst Objekte ein. In einem Schreiben des Oberfinanzpräsidenten an den Gerichtsvollzieher Rötsch aus dem Jahr 1942 bezüglich der Versteigerung von Umzugsgut ist festgehalten, dass Gegenstände, die sich zur Ausstattung der Verwaltung eigneten („z.B. Schreibtische, Bücherschränke […] Sessel, Teppiche und Büromaschinen“), bereits vor der Auktion entnommen werden sollten.
2014 setzte sich die Finanzbehörde in der Ausstellung Ausplündern und Verwalten: Das Finanzamt Bremen stellt sich seiner NS-Vergangenheit kritisch mit der Rolle der Institution während des Nationalsozialismus auseinander. Durch die Ausstellung wuchs das Bewusstsein für mögliches NS-Raubgut in den Räumen der Behörde, und einige Möbelstücke fielen auf.
Eine Auseinandersetzung mit der Thematik kann den Blick auf Objekte verändern und latentes Wissen an die Oberfläche treten lassen. So meldete sich ein ehemaliger Mitarbeiter der Finanzbehörde und wollte einen Tisch zurückgeben, den er aus einer internen Möbelverteilung erhalten hatte – seinen Angaben nach stammte er aus einem entsprechenden Kontext. Auch eine damalige Mitarbeiterin erkannte während einer Veranstaltung im Vorfeld der Ausstellung, dass ihr Großvater von genau jenen Versteigerungen erzählt hatte. Die in ihrer Familie erhaltenen Objekte wurden inzwischen mehrfach ausgestellt, und sie berichtete über ihre Geschichte.
Oft waren es Umlagerungen, bei denen auf den Rückseiten der Möbelstücke Spuren sichtbar wurden und daraufhin ein Verdacht entstand. So fiel 2013 während der Vorbereitungen zur Ausstellung ein Schrank auf, der nach einem Bürowechsel auf einem Rollbrett stand. Auf seiner Rückseite fanden sich diverse Kreidespuren und Reste von Aufklebern. Ein Stempel kennzeichnete ihn als Reichseigentum des Finanzamts Ost. Dieser Schrank schien kein typisches funktionales Behördenmöbel zu sein, sondern erinnerte vielmehr an ein privates Möbelstück. Er wurde 2014 als Verdachtsobjekt in der Ausstellung thematisiert. Anschließend wurde er gemeinsam mit anderen Objekten im Depotkeller eingelagert. Gundula Rentrop, die bis 2024 als Museumspädagogin und Kuratorin für die Geschichte des Hauses und das Archiv zuständig war, bewahrte die gefundenen Möbelstücke und setzte sich unermüdlich für eine Auseinandersetzung mit ihnen und der Geschichte der Institution ein.
Seit fast zehn Jahren lagern diese Objekte nun im Depotkeller, wobei unklar ist, wie viele bislang unentdeckte Möbelstücke sich noch in den übrigen Räumen der Behörde befinden. Eine Beforschung der Objekte erfolgte in dieser Zeit nicht – sie blieben Verdachtsfälle mit ungeklärter Provenienz. Umso drängender stellt sich die Frage nach einem angemessenen Umgang mit ihnen: Wohin gehören diese Objekte, und was sollte mit ihnen geschehen?
2024 hatte ich die Möglichkeit, mich im Rahmen meiner Masterarbeit genauer mit den Objekten und ihren Geschichten zu beschäftigen. Während die Käufe anderer Institutionen in den im Staatsarchiv Bremen erhaltenen Versteigerungsprotokollen gelistet sind, ist bis dato unklar, wie die Entnahme von Objekten für den behördlichen Gebrauch dokumentiert wurde. Es ist wahrscheinlich, dass etwaige Dokumente nicht erhalten sind. Laut einem Bericht aus dem Jahr 1946, den der damalige Leiter der Vermögensverwertungsstelle an die amerikanischen Alliierten richtete, waren auf Anweisung des Reichsministers der Finanzen alle Akten über eingezogenes Vermögen beim Oberfinanzpräsidenten Weser-Ems vor Kriegsende vernichtet worden.
Aufgrund fehlender schriftlicher Quellen und oft nur fragmentarischer Spuren an den Objekten konnte ihre Provenienz bislang nicht abschließend geklärt werden. Manche der Objekte gelangten vermutlich auf anderem Wege ins Haus: Ein Stuhl könnte aus dem Inventar der NS-Organisation Kraft durch Freude, ein Papierkorb der Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk und zwei Saalstühle könnten ursprünglich Teil des Inventars eines Dampfers des Norddeutschen Lloyd gewesen sein. Für den oben erwähnten Schrank sowie einen weiteren Schrank besteht weiterhin der Verdacht, dass es sich um NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut handelt. Diese sind mittlerweile in der Lost Art-Datenbank verzeichnet.
Unabhängig von ihrer ungeklärten Herkunft werfen diese Möbelstücke weiterhin Fragen auf und sind Teil von Debatten. Sie werden im Rahmen regelmäßiger Führungen zur Geschichte des Hauses ebenso thematisiert wie in Veranstaltungen, Ausstellungen und der Presse. Seit 2023 veranstalten Evin Oettingshausen und Henning Bleyl eine erinnerungspolitische Radtour zu Orten der NS-Beraubung in Bremen (geraubt.de), die auch im Depotkeller der Finanzbehörde Halt macht. Immer wieder meldeten sich bei den unterschiedlichen Anlässen auch Besucher:innen zu Wort, die ihr Familienerbe neu betrachteten und erkannten, dass auch dort möglicherweise geraubte Objekte vorhanden waren.
Es zeigt sich, welche Wirkung den Möbelstücken innewohnt – durch die Geschichte, für die sie stehen. Sie sind materielle Spuren, die historische Verletzungen und Ungerechtigkeiten und eine nicht aufgearbeitete Vergangenheit repräsentieren. Diese Alltagsgegenstände rufen Emotionen und Reaktionen hervor, werfen Fragen auf und können Ausgangspunkt für Gespräche über Unrecht, Erinnerung und heutige gesellschaftliche Verantwortung sein. Sie sind mehr als stumme Zeugen – sie können als Akteure verstanden werden, die Debatten anstoßen und mitgestalten.
Die (un)sichtbare Präsenz von NS-Raubgut verdeutlicht, wie tief die systematische Enteignung in die Gesellschaft hineinwirkte und bis heute nachhallt. Wie dieser Fall deutlich zeigt, finden sich geraubte Objekte nicht nur in privaten Haushalten, auf Flohmärkten und in Museen, sondern auch in Verwaltungsgebäuden – die Bremer Finanzbehörde ist dabei wohl kaum ein Einzelfall. Die Frage bleibt: Wie kann eine angemessene Auseinandersetzung mit den Objekten und ihren Geschichten aussehen?
Jana Schäfer studierte am Institut für Ethnologie und Kulturwissenschaft der Universität Bremen und forschte 2024 im Rahmen ihrer Masterarbeit zu vermeintlichem NS-Raubgut in der Bremer Finanzbehörde und der Rolle der Objekte in Erinnerungsprozessen.
Besonderer Dank gilt der Finanzbehörde Bremen für die Ermöglichung dieser Recherche und Gundula Rentrop für ihre wertvolle Unterstützung.
Literatur:
- Balcar, Jaromír (Hrsg.) (2014): Raub von Amts wegen: Zur Rolle der Verwaltung, Wirtschaft und Öffentlichkeit bei der Enteignung und Entschädigung der Juden in Bremen. Bremen: Edition Temmen
- Monopol Magazin (05.08.2024): Aufarbeitung in Bremen. Der schwierige Umgang mit NS-Raubgut
- Senator für Finanzen (Hrsg.): „Haus des Reichs“. Von der Nordwolle zum Senator für Finanzen. Architektur und Geschichte eines Bremer Verwaltungsgebäudes. Bremen: H. M. Hauschild GmbH
- Senatorin für Finanzen (Hrsg.) (2014): Ausstellung Ausplündern und Verwalten: das Finanzamt Bremen stellt sich seiner NS-Vergangenheit. Bremen: Selbstverlag