Das Deutsche Museum München hat das Gemälde „Meereserwecken“ des Malers Hans Thoma (1839 – 1924) an die rechtmäßigen Erbinnen zurückgegeben, das sich seit 1995 in der Sammlung des Deutschen Museums befunden hatte. Wie sich bei Nachforschungen herausstellte, stammt das Bild aus dem Eigentum des jüdischen Fabrikanten Sigmund Waldes, der während der Nazi-Herrschaft emigrieren musste und dessen Sammlung die Nazis später versteigern ließen.
Die Herkunft des Gemäldes wurde im Rahmen eines Provenienzforschungsprojekts des Deutschen Museums entdeckt, bei dem seit einem Jahr insbesondere auch die dort befindlichen Kunstobjekte systematisch unter die Lupe genommen werden. Das Deutsche Museum verfügt neben seiner umfangreichen technischen und naturwissenschaftlichen Sammlung auch über eine Gemäldesammlung, die nicht nur Porträts von Forschern und Erfindern, sondern auch andere Werke umfasst. Diese waren häufig für das Museum eher ein „Beifang“. Auch „Meereserwecken“ oder „Meeresjungfrau mit Sonne“ von Hans Thoma war eine solche Zugabe. Sie kam 1995 mit dem großen Nachlass des Pforzheimer Industriellen Max Bühler (1887 – 1978) in die Sammlung.
Ein Pfandsiegel des Amtsgerichts Dresden auf der Rückseite war der Auslöser für die Recherchen. „Die Pfändung hat das Bild für uns zu einem Verdachtsfall gemacht, den wir genauer überprüfen wollten. Auch der Form und Schrift nach sah das Siegel so aus, als könne es aus der Zeit um 1945 stammen“, sagt Provenienzforscherin Christine Bach. Ein Abgleich mit der Internet-Datenbank „Lost Art“ verstärkte den Verdacht: Hier findet sich ein Gemälde von Hans Thoma mit dem Titel „Meereserwecken/Meeresjungfrau mit Sonne“, das von den Erbinnen von Sigmund Waldes gesucht wird.
Das Gemälde aus der großen Kunstsammlung des jüdischen Fabrikanten Sigmund Waldes war unter den Nazis 1939 erst gepfändet und später beschlagnahmt worden. Waldes musste am 4. September 1938 emigrieren – er floh über Paris und London nach New York und ließ sich dort nieder. Sein Eigentum in Deutschland, das er nicht hatte mitnehmen können, wurde von den Nationalsozialisten „sichergestellt“. 1941 musste Waldes unter Druck einer „Vereinbarung“ zustimmen, durch die dieses Vermögen an das Deutsche Reich fiel. Die Kunstwerke wurden dann im Auftrag des Reichswirtschaftsministeriums auf dem Kunstmarkt verkauft. Wo und wann Max Bühler das Gemälde erworben hat, konnte nicht herausgefunden werden.
Bei einem früheren Provenienzforschungsprojekt zur Kunstsammlung Waldes hatte sich bereits herausgestellt, dass Teile der Waldes-Sammlung 1943 im Auftrag des Reichswirtschaftsministeriums beim Berliner Auktionshaus Hans W. Lange versteigert wurden. Zu der Versteigerung existiert ein Auktionskatalog. Darin ist auch eine Abbildung des Gemäldes „Meereserwecken/Meeresjungfrau mit Sonne“ – eindeutig das Bild, das das Deutsche Museum 1995 mit dem Bühler-Nachlass übernommen hatte. Jedoch gab es ein Detail, das nicht zu den Unterlagen passte: Während das gesuchte Bild auf eine Metallplatte gemalt worden war, war in der Sammlungsdatenbank des Deutschen Museums als Bildträger eine Sperrholzplatte angegeben. Da Thoma mehrere Versionen des Motivs gemalt hatte, nahm das Deutsche Museum zunächst an, dass es sich doch um eine andere Variante des Gemäldes handelte. Doch dann nahm Provenienzforscher Bernhard Wörrle einen Restaurierungsbericht aus dem Jahr 1996 noch einmal in die Hand. Daraus ging hervor, dass das Bild tatsächlich auf Metall gemalt worden war und die Sperrholzplatte auf der Rückseite nur als Abdeckung diente. Bach und Wörrle setzten sich mit Lothar Fremy, dem Vertreter der Erbinnen, in Verbindung. Auf Wunsch der beiden Enkelinnen, die in den USA leben, findet keine persönliche Übergabe statt – das Gemälde wurde stattdessen an Fremy übergeben.
Siehe auch: https://blog.deutsches-museum.de/2024/04/10/ein-eindeutiger-fall-von-ns-raubkunst