Die Kunsthalle Bremen hat sich mit der Erbin des Gemäldes „Im Gras liegendes Mädchen“ (1882) von Camille Pissarro auf eine gerechte und faire Lösung im Sinne der Washingtoner Prinzipien geeinigt. Jahrelange Forschung, die internationale Kooperation von Provenienzforscherinnen, die gegenseitige Bereitschaft zur Verhandlung und die finanzielle Unterstützung großer Stiftungen trugen dazu bei, dass das Gemälde in der Kunsthalle Bremen bleiben kann.
Seit 2010 hatte es an der Kunsthalle Bremen Recherchen zur Provenienz des Gemäldes „Im Gras liegendes Mädchen“ von Camille Pissarro gegeben. 2016 fanden niederländische Kollegen in einem Archiv in Den Haag den bisher fehlenden Baustein, der zur Klärung der Besitzverhältnisse während der deutschen Besatzung der Niederlande in der NS-Zeit führte: In einem Rückerstattungsformular stand der Name des ehemaligen Besitzers, Jaap van den Bergh (1908–1958). Er war Direktor der Textilfirma Bergoss in Oss.
Nachdem die Niederlande am 10. Mai 1940 von der deutschen Wehrmacht überfallen worden waren, war die Familie Van den Bergh wegen ihrer jüdischen Herkunft Verfolgungen ausgesetzt. Jaap van den Bergh überlebte die Besatzungszeit mit seiner Frau in einem Versteck. Seine beiden Töchter, Rosemarie Ida (1936–1944) und Frieda Marianne (1939–1944), die in einem Kinderheim untergebracht waren, wurden jedoch verraten, in das KZ Auschwitz deportiert und ermordet.
Um das Leben im Untergrund zu finanzieren, war Van den Bergh gezwungen, Gemälde und Schmuck zu veräußern. So verkaufte er 1942 „Im Gras liegendes Mädchen“ von Pissarro für 23.000 Gulden an den Spediteur Dirk Lijnzaad. Wenig später verkaufte Lijnzaad das Gemälde zu einem unbekannten Preis an den in Amsterdam ansässigen deutschen Sammler Hugo Oelze. Als Oelze 1967 starb, vermachte er das Werk der Kunsthalle seiner Heimatstadt Bremen.
Nach dem Krieg bemühte sich Van den Bergh darum, das Werk zurückzubekommen. Zwar erhielt er die Information, dass das Gemälde im Besitz von Hugo Oelze in Amsterdam sei, doch da es nie nach Deutschland ausgeführt worden war, war nach damaligem Gesetz eine Restitution nicht möglich. 2016 nahm die Kunsthalle Bremen Kontakt mit der Erbin Van den Berghs auf. So konnte – fast 80 Jahre nach Kriegsende – eine gütliche Einigung gefunden werden.
Die Familie Van den Bergh emigrierte 1946 in die USA. Das Trauma der Verfolgung bleibt jedoch selbst für die Nachgeborenen bis heute spürbar. Daher ist es für die Erbin ein zentrales Anliegen, dass die tragische Geschichte ihrer Familie erzählt wird – beispielhaft für so viele vergessene jüdische Schicksale aus dieser Zeit. Dies leistet das Buch „The Girl in the Grass. The Tragic Fate of the Van den Bergh Family and the Search for a Painting“, herausgegeben von den niederländischen Forscherinnen Eelke Muller und Annelies Kool, mit Beiträgen von Dorothee Hansen, Brigitte Reuter und Rudi Ekkart.
Von November 2024 bis März 2025 wurde das Gemälde im Van Gogh Museum in Amsterdam präsentiert und seine Geschichte einem breiten Publikum nahegebracht – auch das ist ein Anliegen der Erbin. In der Kunsthalle Bremen wird das Bild ab April 2025 mit einem Text zum Schicksal der Familie Van den Bergh gezeigt werden.
Entscheidend für die Erbin waren die historische Aufklärung und die Erinnerung an das Schicksal ihrer beiden ermordeten Schwestern. Außerdem war auch eine finanzielle Kompensationszahlung Teil der Vereinbarungen. Dem privat getragenen Kunstverein in Bremen wäre diese Zahlung nicht möglich gewesen ohne die großzügige Unterstützung der Kulturstiftung der Länder, der Hermann Reemtsma Stiftung und dem Nachlass von Fritz Müller-Arnecke.
Im Rahmen des Internationalen Tags der Provenienzforschung gibt es am Dienstag, 8. April, 19 Uhr, den Vortrag: Der lange Schatten der NS-Zeit – Die Geschichte des Gemäldes „Im Gras liegendes Mädchen“ von Camille Pissarro mit Dr. Dorothee Hansen (Stellv. Direktorin der Kunsthalle) und Dr. Brigitte Reuter (Provenienzforscherin)
Die Provenienzforschung wurde seit 2010 mit mehreren befristeten Projekten gefördert durch das
Deutsche Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg beziehungsweise durch seine Vorgängereinrichtung, die Arbeitsstelle für Provenienzforschung.
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