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Staatliche Graphische Sammlung München restituiert „Prinzregentenzyklus“

Die Erbengemeinschaft einigt sich mit dem Haus Wittelsbach auf den Verbleib der Aquarelle von Max Slevogt in Bayern.

Die Staatliche Graphische Sammlung München  hat die Aquarelle des sogenannten „Prinzregentenzyklus” sowie das Aquarell „Motiv bei Oberbozen” von Max Slevogt (1868–1932) an die Erben der ursprünglichen Eigentümer:innen  restituiert. Das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst sowie die Direktion der Staatlichen Graphischen Sammlung München gaben die Werke an die Vertreter:innen der Erbinnen und Erben des Sammlers Leo Lewin, Breslau (heutiges Wrocław), und seines Bruders, des Rechtsanwalts Salo Lewin, Berlin, zurück.

Dank eines vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste und dem Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst geförderten Forschungsprojekts hat die Provenienzforscherin der Staatlichen Graphischen Sammlung München, Frau Dr. Ilse von zur Mühlen, die Provenienz der elf Aquarelle des „Prinzregentenzyklus” sowie des Aquarells „Motiv bei Oberbozen” von Max Slevogt erforscht.

Aufgrund des spezifischen Bezugs des Zyklus zum Haus Wittelsbach hat sich die Erbengemeinschaft mit dem Wittelsbacher Ausgleichsfonds darauf geeinigt, dass dieser die Aquarelle erwirbt. Damit bleiben sie in Bayern.    

Die Geschichte des Zyklus‘

Im Sommer 1909 war Max Slevogt vom Prinzregenten Luitpold (1821–1912) in Hohenschwangau für einige Zeit als Gast aufgenommen worden. In dieser Zeit entstanden mindestens 15 Aquarelle und mehrere Ölgemälde mit Motiven aus dem Lebensumfeld des Prinzregenten in Hohenschwangau. Doch der Prinzregent erwarb die Aquarelle nicht, sie verblieben beim Künstler. Auch das 1914 während eines Südtiroler Aufenthalts von Slevogt entstandene Aquarell „Motiv bei Oberbozen” behielt Slevogt wohl in seinem Eigentum.

Beide Werke wurden am 1. August 1938 über die Galerie Ferdinand Möller durch Salo Lewin an die Staatliche Graphische Sammlung München verkauft. Zumindest der „Prinzregentenzyklus” stand jedoch bis zu einem unbekannten Zeitpunkt nach dem 9. Mai 1931 im Eigentum von Leo Lewin aus Breslau.

Leo und Salo Lewin waren Söhne des Breslauer Textilfabrikanten und Kunstsammlers Carl Lewin (1855–1924). Leo Lewin (1881–1965), der die Firma des Vaters weiterführte, war Mitglied mehrerer Breslauer Kunstvereine und begann schon während des Ersten Weltkriegs mit dem Aufbau einer eigenen Kunstsammlung. Am 17. Mai 1917 erwarb er von Max Slevogt die Aquarelle des „Prinzregentenzyklus”, ein Ankauf, der anlässlich seiner Heirat mit Helene Koslowsky (1896–1976) der Ausstattung seiner Villa in Breslau dienen sollte und im Rechnungsbuch Slevogts sowie einigen Briefen dokumentiert ist. Der Sammler zeigte Teile des Zyklus in verschiedenen Ausstellungen und stellte sie 1918 dem Berliner Verleger Bruno Cassirer für eine Prachtedition mit Farbtafeln zur Verfügung. Am 9. Mai 1931 versuchte er ohne Erfolg, die Aquarelle an die Nationalgalerie in Berlin zu verkaufen. Dies ist das letzte sichere Datum für das Eigentum von Leo Lewin vor dem Verkauf durch Salo Lewin 1938.

Durch die Weltwirtschaftskrise einerseits und frühe Hetze durch die Nationalsozialisten andererseits geriet die bereits 1921 zur Aktiengesellschaft für Webwaren und Bekleidung in Breslau umgebildete Textilfirma in Schieflage und Leo Lewin haftete mit seinem Vermögen. Mehrere Auktionen mit Kunstwerken der Sammlung sind seit 1927 dokumentiert. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 änderte sich für Leo Lewin wie für alle jüdischen Bürger:innen die persönliche und wirtschaftliche Lage. Seit spätestens Januar 1934 prägten zudem Hausdurchsuchungen durch die Gestapo und Inhaftierungen Leo Lewins Leben. Anfang 1939 gelang ihm die Flucht nach Großbritannien, seine Frau Helene folgte ihm im Mai 1939 ins Exil.

Leos älterer Bruder, der Rechtsanwalt Salo Lewin (1880–1975), hatte gleichfalls den Kunstsinn des Vaters geerbt. In der Aktiengesellschaft für Webwaren und Bekleidung hatte er einen Platz im Aufsichtsrat und war so bis 1934 für die Geschicke der Firma mit verantwortlich. Salo Lewin erhielt bereits im Juli 1933 Berufsverbot, seine Frau Susanna, geb. Gottstein (1899–1972), die Chemie, Physik und Kunstgeschichte studiert und als Technische Assistentin am Pathologischen Institut in Breslau gearbeitet hatte, verlor ihren Arbeitsplatz. Das Ehepaar siedelte zum August 1934 nach Berlin über, wo seit spätestens 4. Juli 1935 Verkäufe der Wohnungseinrichtung und von Kunstwerken nachweisbar sind. Am 28. März 1938 übergab Salo Lewin zwölf Aquarelle von Slevogt an die Galerie Ferdinand Möller in Kommission. Die Galerie wurde mit der Staatlichen Graphischen Sammlung München handelseinig. Der Verkauf überschnitt sich mit der Haft Salo Lewins im Konzentrationslager Sachsenhausen. Er konnte im März 1939 über Kuba in die USA fliehen. Seine Frau Susanna folgte ihm über Großbritannien im Juni 1939.