Am Donnerstag, 10.4., wurde im Universitätsclub Bonn die Neuerscheinung „Die venezianischen Fälle. Eine Sammlung fiktiver Fälle zu NS-Raubgut, Recht und Ethik“ des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste vorgestellt.
Das Buch zeigt Herangehensweise und Lösung von NS-Raubgutfällen in einer ungewöhnlichen Form. Anhand von 15 fiktiven, in Venedig angesiedelten Sachverhalten mit „Alternate History"-Elementen wie etwa Antonio Vivaldis Komposition „Die fünf Jahreszeiten" oder eine Landkarte von 1506, die erstmals einen neuen Kontinent namens „America" erwähnt, erfährt man, wie mit NS-Raubgutfällen praktisch umgegangen werden kann. Die „Venezianischen Fälle“ bilden damit einen Brückenschlag zwischen Kunst, Geschichte, Recht und Ethik.
Im Rahmen der Buchpräsentation sprachen neben dem Autor Dr. Michael Franz vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste und dessen Vorstand, Prof. Dr. Gilbert Lupfer, auch Prof. Dr. Matthias Weller (Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Professur für Bürgerliches Recht, Kunst- und Kulturgutschutzrecht) und Prof. Dr. Christoph Zuschlag (Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Professur für Kunstgeschichte der Moderne und der Gegenwart mit Schwerpunkt Provenienzforschung / Geschichte des Sammelns) von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.
Prof. Dr. Gilbert Lupfer: „Es geht in diesem Buch um die staatlich organisierte Ausplünderung jüdischer Bürgerinnen und Bürger in der NS-Zeit, es geht um Zwangsverkäufe, um Erpressung, um den Raub von Kunstwerken, Handschriften, Büchern und Preziosen. Diese Objekte werden, nach jahrzehntelangem Verschweigen oder Vergessen, zum Inhalt von Recherchen, Auseinandersetzungen, Rechtsstreiten, aber auch von Vergleichen und von einvernehmlichen Einigungen. Alle „Venezianischen Fälle“ sind zwar fiktiv, aber bleiben in ihren einzelnen Elementen und ihrer Entwicklung doch meist nahe an der historischen Realität. Unschwer lassen sich hier und da Bezüge zu tatsächlichen Fällen und Konstellationen erkennen.“
Prof. Dr. Matthias Weller: „Gerade weil es im Bereich NS-Raubgut so viele reale Fälle gibt, müssen wir uns in ihrer gerechten und fairen Aufarbeitung darum bemühen, im Wesentlichen Gleiches gleich und Ungleiches proportional zur Unterschiedlichkeit unterschiedlich zu behandeln. Gleichheitsprinzip und Proportionalitätsprinzip, das sind seit Aristoteles die Grundfesten einer jeden Gerechtigkeitsproduktion. Das ist keine einfache Aufgabe und sie muss trainiert werden. Für Juristinnen und Juristen ist dies eine Binsenweisheit, sie trainieren diese Fähigkeit ihr ganzes berufliches Leben, und sie trainieren als Studierende tagein tagaus anhand fiktiver Fälle. Warum? Weil nur der fiktive Fall wirklich didaktisch zugespitzt werden kann auf tragende Strukturelemente der Gerechtigkeit. Gerechtigkeit, darin sind sich alle einig, braucht Struktur. Insofern ist für mich eher die Frage, warum es ein solches didaktisch orientiertes Buch so lange nicht gab.“
Prof. Dr. Christoph Zuschlag: „Das in einigen der im Buch behandelten Fälle eng kooperierende Geschwisterpaar Dr. Paula Paragraph und Dr. Petra Provenance zeigt, dass es des Zusammenspiels von juristischer und kunsthistorischer Expertise bedarf, um die oftmals komplexen Fragen rund um NS-Raubkunst und Restitution zu lösen. Diesem Umstand trägt unser Bonner kunsthistorischer Masterstudiengang Provenienzforschung und Geschichte des Sammelns insofern Rechnung, als sich zwei Pflichtmodule mit juristischen Inhalten befassen.“
Zum Buch: Michael Markus Franz: Die venezianischen Fälle. Eine Sammlung fiktiver Fälle zu NS-Raubgut, Recht und Ethik (Band 5 der wissenschaftlichen Schriftenreihe „Provenire“ des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste), Verlag De Gruyter, 186 Seiten, 19 Euro; auch als eBook erhältlich) Mehr Infos zum Buch und Bestellmöglichkeit: https://www.degruyter.com/document/isbn/9783689240158/html