In der Reihe „Working Paper Deutsches Zentrum Kulturgutverluste“ ist das zweite Paper zum Thema Kulturgutentzug in der DDR erschienen: „Der Staatliche Kunsthandel der DDR im Spiegel der Akten der Arbeiter-und-Bauern-Inspektion. Ein Forschungsdesiderat“ ist die achte Ausgabe der Online-Publikationsreihe auf http://perspectivia.net.
Die Arbeiter-und-Bauern-Inspektion (ABI) war von 1963 bis 1989 das größte Kontrollorgan der DDR, in dem ehrenamtlich mehr als 280.000 „Volkskontrolleure“ mitarbeiteten. Sie kontrollierten das Bauwesen, die Landwirtschaft, den öffentlichen Nahverkehr, die Versorgung, das Gesundheits- und Sozialwesen - aber auch Museen, Galerien, Universitäten und den Staatlichen Kunsthandel.
Kontrollberichte wurden öffentlich ausgewertet, sie blieben daher meist parteikonform geschönt. Doch die veröffentlichten Ergebnisse betrafen nicht einmal 15 Prozent dessen, was innerhalb der ABI berichtet wurde, und darin liegt der Reiz ihres heute noch vorhandenen Schriftgutes: In den unveröffentlichten, streng vertraulichen Berichten kommen beispielsweise die Problemlagen im Staatlichen Kunsthandel ungeschönt zur Sprache. Zu Auskünften an die ABI war jeder Beschäftigte verpflichtet. Der Tatbestand der Behinderung einer Kontrolle war gegeben, wenn Auskünfte oder der Zutritt zu Räumlichkeiten verweigert wurden. Das Mittel zum Durchsetzen von Veränderungen waren Auflagen, ihre Umsetzung Pflicht. „Erziehungsmaßnahmen“ konnten verhängt werden, Ordnungsstrafverfahren das letzte Mittel sein.
Die Überlieferung zur ABI im Bundesarchiv ist umfangreich: Der Bestand DC 14 umfasst mehr als 160 laufende Meter mit über 3.000 Akteneinheiten. Der auf den Staatlichen Kunsthandel bezogene Quellenbestand beläuft sich auf etwa 25 Einheiten mit oft bis zu mehreren tausend Seiten Umfang, die nach ersten Stichproben gute Erkenntnisse versprechen. Dieses Material blieb all die Jahre fast ungenutzt. Prof. Dr. Michael Busch (Schwerin) sichtet es in unserer Working-Paper-Reihe stichprobenartig auf seinen Wert für künftige Provenienzforschungen hin.
Lässt sich aus der Arbeit der ABI erkennen, inwieweit der Staatliche Kunsthandel der DDR in die Devisengeschäfte mit Kunst und Antiquitäten einbezogen war? Wurden Steuerverfahren gegen Sammler oder Händler dort dokumentiert? Wurden Herkunft und Verbleib von Kulturgut als Verkaufsware näher beleuchtet? Aus dem wissenschaftlichen Forschungsanreiz ist inzwischen ein Projekt der laufenden SBZ/DDR-Grundlagenforschung geworden (https://www.proveana.de/de/link/pro00000272). Bis zum Abschluss des Projekts in zwei Jahren bleiben diese Fragen offen - und bleibt das Working Paper 8/2024 der maßgebliche Wissensstand hierzu.
Michael Busch: „Der Staatliche Kunsthandel der DDR im Spiegel der Akten der Arbeiter-und-Bauern-Inspektion. Ein Forschungsdesiderat“ (Working Paper 8/2024): https://doi.org/10.25360/01-2024-00009
Mit der Reihe Working Paper Deutsches Zentrum Kulturgutverluste erscheinen in loser Folge Texte zu aktuellen Forschungsthemen aus allen Förderbereichen und Handlungsfeldern der Stiftung online: Dazu gehören u.a. Dossiers, Leitfäden, Recherchehilfen, Forschungsberichte und Übersichten zu NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut (sog. Raubgut), zu kriegsbedingt verbrachtem Kulturgut (sog. Beutegut), zu Kulturgutentziehungen in SBZ/DDR und zu Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten.