Koloniale Kontexte: Grundlagen & Übersicht
Was versteht man unter „kolonialen Kontexten“?
Der Begriff „koloniale Kontexte“ umfasst die Umstände und Folgen des Kolonialismus seit der europäischen Expansion im 15. Jahrhundert. Gemeint sind nicht nur die formalen Kolonialherrschaften, wie sie Deutschland, England, Frankreich, Belgien oder die Niederlande in Asien, Ozeanien oder Afrika ausübten, sondern auch koloniale Strukturen und Denkmuster, die bis heute nachwirken. Denn auch dann, wenn eine einstige Kolonie ihre staatliche Unabhängigkeit längst erreicht hat, können „koloniale Kontexte“ fortbestehen – zum Beispiel in Ausbeutungsverhältnissen oder in der Marginalisierung von Minderheiten.
Kennzeichnend für koloniale Kontexte ist ein Machtgefälle: „Koloniale Kontexte sind geprägt von ungleichen Machtverhältnissen und einem Selbstverständnis der kulturellen Höherwertigkeit der Herrschenden“, so definiert der „Leitfaden zum Umgang mit kolonialem Sammlungsgut“ des Deutschen Museumsbundes. Kolonialismus kann viele Gesichter haben und wird im genannten Leitfaden allgemein beschrieben als „Herrschaftsverhältnis, bei dem die kolonisierten Menschen in ihrer Selbstbestimmung beschränkt, fremdbestimmt und zur Anpassung an die (vor allem wirtschaftlichen und politischen) Bedürfnisse und Interessen der Kolonisierenden gezwungen werden.“
Häufig begann die Kolonisierung mit der Missionierung oder der Errichtung von Handelsstützpunkten. Oftmals ging sie mit brutaler Eroberung und Unterdrückung einher. Die meisten formalen europäischen Kolonialherrschaften endeten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, „koloniale Kontexte“ wirken jedoch bis heute in vielerlei Gestalt nach.
Die koloniale Vergangenheit Deutschlands
Das 1871 gegründete Deutsche Reich wurde im Vergleich zu anderen europäischen Nationen erst relativ spät zur Kolonialmacht. Auch weil Reichskanzler Otto von Bismarck koloniale Bestrebungen zunächst kritisch sah, entstanden die ersten deutschen Kolonien aus Erwerbungen von Privatleuten und Handelsgesellschaften, die danach unter den „Schutz“ des Kaiserreichs gestellt wurden. Ab Mitte der 1880er Jahre errichtete das Deutsche Reich die Kolonien Kamerun, Togo, Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia) und Deutsch-Ostafrika, außerdem Deutsch-Samoa und Deutsch-Neuguinea im pazifischen Raum sowie Kiautschou in China.
Die deutsche Kolonialmacht ging dabei zum Teil mit ausgeprägter Grausamkeit vor. In „Deutsch-Südwestafrika“ kam es 1904-1908 zu einem Völkermord an den widerständigen Herero und Nama. Im Maji-Maji-Krieg in „Deutsch-Ostafrika“ 1905-07 führten deutsche Truppen mithilfe von Söldnern einen Krieg gegen die Bevölkerung, der hunderttausende Opfer forderte. Der Widerstand auf Ponape im Pazifik wurde ebenso blutig niedergeschlagen wie der Widerstand der „Boxer-Bewegung“ in China.
Die Niederlage im Ersten Weltkrieg bereitete der deutschen Kolonialherrschaft im Vergleich zu anderen europäischen Kolonialherrschaften ein frühes Ende: Im Versailler Vertrag wurden Deutschland seine Kolonien aberkannt.
Zwei Studien zur kolonialen Gewalt in Afrika und Ozeanien hat das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste in seiner Reihe Working Paper Deutsches Zentrum Kulturgutverluste herausgegeben.
Wichtige Ereignisse
Wiener Kongress
Etablierung deutscher „Schutzgebiete“ bzw. Kolonien in Afrika
Berliner „Afrika-Konferenz“ (auch „Kongo-Konferenz“)
Besetzung des westafrikanischen Königreichs Benin
„Boxer-Krieg” („Yihetuan” bzw. „Yihequan”- Bewegung) in China
Völkermord an den Herero und Nama in „Deutsch-Südwestafrika“
Maji-Maji-Krieg in „Deutsch-Ostafrika“
Widerstand der Sokeh in Deutsch-Neuguinea
Versailler Vertrag / Ende formaler deutscher Kolonialherrschaft in Übersee
Bandung-Konferenz
„Afrikanisches Jahr“ / „Afrika-Jahr“
Postkoloniale Provenienzforschung
Die postkoloniale Provenienzforschung fragt nach der Herkunft von Sammlungen und Objekten, die unter kolonialen Bedingungen erworben wurden. Ziel ist es herauszufinden, welche Objekte sich europäische Akteure gewaltsam angeeignet haben, damit Rückgaben an die Herkunftsländer bzw. die Herkunftsgesellschaften ermöglicht werden können. Dabei werden auch die uneindeutigen Besitzwechsel und die Spielräume, die lokale Akteur:innen für sich nutzen konnten, beleuchtet. Von zentraler Bedeutung für die postkoloniale Provenienzforschung ist die Zusammenarbeit mit Expert:innen, Interessensgruppen und Sammlungs- bzw. Forschungsinstitutionen in bzw. aus den Herkunftsländern und -gesellschaften, aus denen die Objekte oder menschlichen Überreste stammen.
Das Augenmerk liegt dabei zum einen auf der Erforschung der Provenienz einzelner Gegenstände, zum anderen auf der Aufdeckung kolonialer Strukturen - etwa dem Zusammenhang von kolonialer Expansion und der Einrichtung von „Völkerkundemuseen“ im 19. Jahrhundert. Postkoloniale Provenienzforschung erforscht also nicht nur die Herkunft von Objekten, sondern sie fragt: Welchen Einfluss hatten koloniale Herrschaft und rassistische Ideologie auf die Entstehung von Sammlungen und Museen in Europa? Und inwieweit sind Institutionen, Kultur und Wissenschaft bis heute von dieser Geschichte geprägt?
Neben Kulturgütern liegt ein Schwerpunkt auf der Erforschung der Herkunft von menschlichen Überresten vor allem in anthropologischen, naturkundlichen oder archäologischen Sammlungen. Schädel und Gebeine aus kolonisierten Gebieten wurden unter anderem für die sog. „Rasseforschung“, ein Forschungszweig, der versuchte, die Existenz von „Menschenrassen“ nachzuweisen, in Europa gesammelt und sind vielfach bis heute in deutschen Sammlungen aufbewahrt.
Vorgeschichte und Entwicklung des Forschungsfeldes
Auf politischer Ebene sind zwei der wichtigsten Grundsatzdokumente für die Entwicklung der postkolonialen Provenienzforschung das Bekenntnis der deutschen Regierungskoalition 2018-21 zur „Aufarbeitung der Provenienzen von Kulturgut aus kolonialem Erbe“ (2018) sowie die Selbstverpflichtung von Bund, Ländern und Kommunen in den „Ersten Eckpunkten zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ (2019). Beide spielten eine zentrale Rolle bei der Etablierung des Fachbereiches „Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“.
Das Eckpunktpapier benannte 2019 sechs Handlungsfelder und Ziele. Dazu gehörte die Etablierung der „Kontaktstelle für Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten in Deutschland” und die Umsetzung der „3-Wege-Strategie”, aus der das sogenannte CCC-Portal entstand.
Mit den drei genannten Stellen existiert nun erstmals eine gezielte Förderung für die Erforschung von Provenienzen im Bereich der kolonialen Kontexte, die über die Forschungsdatenbank Proveana dokumentiert wird, eine zentrale Anlaufstelle für Personen und Institutionen aus den Herkunftsländern der Objekte (insbesondere auch im Hinblick auf mögliche Rückgaben) sowie eine zentrale digitale Plattform, über die perspektivisch Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten aus der ganzen Welt eingesehen werden kann.
Verschiedene Faktoren hatten insbesondere seit den 2000er Jahren zu diesen Entwicklungen beigetragen. Dazu gehören etwa die Debatte um das Humboldt-Forum in Berlin, die Verhandlungen zwischen der deutschen und der namibischen Regierung über Wiedergutmachung für die Folgen des Genozids an Herero und Nama sowie die Zunahme von Anfragen und Rückgabeforderungen zu Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten und hier insbesondere menschlichen Überresten. Bereits 2013 hatte der Deutsche Museumsbund mit seinen „Empfehlungen zum Umgang mit menschlichen Überresten“ viele Fragen aus der öffentlichen Diskussion aufgenommen, 2018 folgte ein zweiter Leitfaden, der sich generell mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten beschäftigte. Schon 2017 hatte sich auch die Arbeitsgruppe „Koloniale Provenienzen“ als Zusammenschluss von Wissenschaftler:innen gegründet und auf die politischen Entwicklungen eingewirkt.
Neuen Auftrieb gewann die Debatte durch die Veröffentlichung des Berichts von Felwine Sarr und Bénédicte Savoy „Zurückgeben. Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter“ im November 2018, in dem die Autor:innen Empfehlungen für die Restitution von afrikanischem Kulturerbe aus den öffentlichen Museen und Sammlungen in Frankreich formuliert hatten. Dem war die Rede des französischen Präsidenten Emmanuel Macron an der Universität von Ouagadougou (Burkina Faso) vorausgegangen, in der dieser die Rückgabe von Kulturgut angekündigt hatte. Der Bericht hatte auch Einfluss auf andere europäische Staaten.
Wichtige Akteure und Strukturen
Der Fachbereich „Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“
2019 ist das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste mit dem Fachbereich „Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ um ein neues Themengebiet erweitert worden. Die Einrichtung des Fachbereiches und die ebenfalls seit 2019 bestehende Möglichkeit der Förderung von Forschungsprojekten war ein wichtiger Schritt zur Unterstützung von Provenienzforschung zu kolonialen Kontexten in Deutschland.
Als wichtige Aufgabe neben der Forschungsförderung betrachtet der Fachbereich die Vernetzung von Akteur:innen in Deutschland mit Akteur:innen in den Herkunftsländern der untersuchten Objekte. Workshops und Tagungen ermöglichen den überregionalen und transnationalen Austausch. Dies betrifft Grundlagen- und Kontextforschung genauso wie Fragen der Digitalisierung, der Lehre und Weiterbildung und der öffentlichen Diskussion zum Thema – oder ganz konkret Arbeitshilfen für die tägliche Praxis des Provenienzforschens.
Der Fachbereich ist in der Außenstelle des Zentrums in Berlin angesiedelt. Leiterin ist Prof. Dr. Larissa Förster, Dr. Jan Hüsgen und Sarah Fründt sind wissenschaftliche Referent:innen. Anna Wickes-Neira übernimmt die Projektkoordination und entsprechende Beratung. Sprechen Sie den Fachbereich gerne an, wenn Sie Anregungen und Fragen haben oder sich zu einer möglichen Antragstellung beraten lassen möchten! Im Folgenden stellen sich die Mitglieder des Fachbereichs kurz vor.
Prof. Dr. Larissa Förster
Larissa Förster, Ethnologin, ist Leiterin des Fachbereichs. Sie berät in Fragen der Provenienzforschung zu menschlichen Überresten, der internationalen Kooperation und Vernetzung sowie des Umgangs mit Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten. Sie koordiniert zudem die Aktivitäten des Fachbereichs in der Aus- und Weiterbildung. Ihre regionalen Schwerpunkte sind das südliche Afrika und Australien. Sie betreut insbesondere Projekte mit Bezug zu Namibia.
Leitung Fachbereich „Kultur und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“
Seydelstraße 18, 10117 Berlin
Telefon: +49 (0) 30 2338493 81
E-Mail: larissa.foerster@kulturgutverluste.de
Dr. Jan Hüsgen (abwesend)
Jan Hüsgen, Historiker, ist wissenschaftlicher Referent des Fachbereichs. Schwerpunkte seiner Beratungstätigkeit sind u.a. der Bereich der Grundlagen- und Kontextforschung und damit verbundene Fragen der Digitalisierung und Erschließung von zentralen Dokumentbeständen der Provenienzforschung. Einen Fokus seiner Arbeit bilden Missionssammlungen; in diesem Zusammenhang engagiert er sich in der Koordination der Unterarbeitsgruppe Missionssammlungen der Arbeitsgruppe Koloniale Provenienzen. Seine regionalen Schwerpunkte sind das westliche Afrika sowie die Karibik.
Dr. Andreas Bohne
Andreas Bohne, Afrikanist, Geograf und Agrarwissenschaftler, ist wissenschaftlicher Referent des Fachbereichs. Schwerpunkte seiner Beratungstätigkeit sind u.a. der Bereich der Grundlagen- und Kontextforschung (z.B. Erst-Checks). Seine regionalen Schwerpunkte sind das westliche und das östliche Afrika sowie Ostasien.
Kulturhistorische Sammlungen, Grundlagen- und Kontextforschung
Seydelstraße 18, 10117 Berlin
Telefon: +49 (0) 30 2338493 82
E-Mail: andreas.bohne@kulturgutverluste.de
Sarah Fründt, M.A.
Sarah Fründt, Ethnologin und Anthropologin, ist wissenschaftliche Referentin des Fachbereichs. Schwerpunkte ihrer Beratung sind die Provenienzforschung zu menschlichen Überresten und sensiblen Sammlungen sowie Fragen von Digitalisierung und digitaler Infrastruktur. In diesem Zusammenhang engagiert sie sich federführend in der Unterarbeitsgruppe menschliche Überreste der Arbeitsgruppe Koloniale Provenienzen sowie im Netzwerk Koloniale Kontexte. Hinzu kommen ethnologische und naturkundliche Sammlungen. Ihre regionalen Schwerpunkte sind Ozeanien und Australien sowie die Amerikas.
Ethnologische und naturkundliche Sammlungen, menschliche Überreste
Seydelstraße 18, 10117 Berlin
Telefon: +49 (0) 30 2338493 83
E-Mail: sarah.fruendt@kulturgutverluste.de
Anna Wickes-Neira, M.A.
Anna Wickes-Neira, Lateinamerikanistin, ist Projektkoordinatorin im Fachbereich und berät zu Fragen der Antragstellung, Durchführung und Abwicklung von nationalen und internationalen Projekten. Ihr obliegt die Koordination der (Informations-)Veranstaltungen des Fachbereichs. Ihr regionaler Schwerpunkt sind die Amerikas, insbesondere Mexiko, Nicaragua, Peru und Chile.
Projektkoordination und Beratung
Seydelstraße 18, 10117 Berlin
Telefon: +49 (0) 30 2338493 84
E-Mail: anna.wickes-neira@kulturgutverluste.de
Was ist die Kontaktstelle?
Die „Kontaktstelle für Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten in Deutschland“ wird je zur Hälfte von den Ländern und dem Bund finanziert und hat im August 2020 ihre Arbeit aufgenommen. Sie ist bei der Kulturstiftung der Länder angesiedelt. Hauptaufgabe der Kontaktstelle ist, insbesondere Menschen und Institutionen aus den Herkunftsstaaten und den betroffenen Herkunftsgesellschaften die Möglichkeit zu eröffnen, sich über Bestände von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten in Deutschland zu informieren und konkrete Beratung, auch hinsichtlich möglicher Rückführungen und Kooperationen, zu bieten.
Weitere Informationen unter: https://www.cp3c.de/index.html
Was ist die AG koloniale Provenienzen?
Die Arbeitsgruppe „Koloniale Provenienzen“ ist die zentrale Vertretung postkolonialer Provenienzforscher:innen in Deutschland und Teil des Dachverbandes Arbeitskreis Provenienzforschung e.V.. Sie dient der Vernetzung und dem Informationsaustausch. Die Arbeitsgruppe beobachtet und diskutiert zum Beispiel die Entwicklung langfristiger Strategien zur Sammlungsbearbeitung, lotet Möglichkeiten der Priorisierung einzelner Sammlungsbestände wie auch des Zugänglichmachens von Forschungsergebnissen aus, macht Vorschläge zur (transnationalen) Kooperation und zur Institutionalisierung von Provenienzforschung an Museen und Universitäten. Hierfür gibt es diverse Untergruppen, z.B. zu Digitalisierung, menschlichen Überresten oder Mission.
Weitere Informationen, auch zur Mitgliedschaft, unter https://www.arbeitskreis-provenienzforschung.org/arbeitsgruppen/ag-koloniale-provenienzen/. Hier findet sich auch ein Verweis auf eine zentrale Übersicht von laufenden und abgeschlossenen Forschungsprojekten postkolonialer Provenienzforschung.
Was ist das Netzwerk koloniale Kontexte?
Das Netzwerk koloniale Kontexte ist ein loser Zusammenschluss von Personen und Institutionen, die sich mit Fragen zur digitalen Zusammenführung, Bearbeitung und Sichtbarkeit sowie zu Nutzungsmöglichkeiten von digitalen Materialien und Daten beschäftigen. Es ist offen für Akteur:innen aus dem In- und Ausland. Derzeit gehören Provenienzforscher:innen, Wissenschaftler:innen aus der Ethnologie, der Geschichts-, Politik- und Kunstwissenschaft und Expert:innen für Digitalisierung in Wissenschaft und Kultur zu den Beteiligten. Sie vertreten ca. 50 verschiedene Institutionen wie Bibliotheken, Archive, Museen und Sammlungen, Forschungsförderungs- und Forschungsinfrastrukturinstitutionen, darunter u.a. die Arbeitsgruppe Koloniale Provenienzen des Arbeitskreises Provenienzforschung e.V., das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste, die Fachinformationsdienste Afrikastudien und Sozial- und Kulturanthropologie und die Koordinierungsstelle für wissenschaftliche Universitätssammlungen in Deutschland. Das Netzwerk besitzt verschiedene Untergruppen. Es veranstaltet regelmäßige Vernetzungs- und Informationstreffen. Weitere Informationen unter: https://www.evifa.de/de/netzwerk-koloniale-kontexte
Expert:innen-Netzwerk zum Umgang mit menschlichen Überresten
Das deutschsprachige Netzwerk ist ein interdisziplinärer Zusammenschluss von Wissenschaftler:innen, die sich in ihrer praktischen oder theoretischen Arbeit mit menschlichen Überresten beschäftigen. Es umfasst Expert:innen u.a. aus den Bereichen der Sozial- und Kulturanthropologie, der biologischen Anthropologie sowie der Geschichts- und Kulturwissenschaften.
Das Netzwerk verfolgt nach seiner eigenen Beschreibung folgende Ziele:
„Unser Ziel ist ein angemessener Umgang mit den sterblichen Überresten von Menschen in Museen und wissenschaftlichen Einrichtungen. Dafür entwickeln wir Verfahren und Standards, die wir in Form von Handreichungen, Empfehlungen und ethischen Richtlinien für Institutionen und politische Entscheidungsträger zur Verfügung stellen.
Der Schwerpunkt der Arbeit unserer Mitglieder liegt auf der postkolonialen Provenienzforschung, um die Grundlage zur Rückgabe menschlicher Überreste aus kolonialen Kontexten zu legen. Das Netzwerk arbeitet darüber hinaus zu institutionellen Fragestellungen wie der Ausstellbarkeit, Dokumentation und Inventarisierung menschlicher Überreste, der Vorbereitung und Durchführung von Repatriierungen oder den Möglichkeiten und Grenzen wissenschaftlicher Forschung an menschlichen Überresten. Hierzu gehört neben der Diskussion von Methoden und Herangehensweisen auch der kontinuierliche internationale Austausch sowohl mit wissenschaftlichen Expert:innen als auch mit Nachfahr:innen der Verstorbenen und mit Vertreter:innen betroffener Communities of Care."
Das Netzwerk existiert seit 2021 und ist ein assoziierter Teil der AG Koloniale Provenienzen des Arbeitskreises Provenienzforschung e.V. Es trifft sich in regelmäßigen Abständen.
Kontakt: Ilja Labischinski, Sarah Fründt
Bisher hat das Netzwerk zwei Stellungnahmen veröffentlicht:
Was ist das Portal „Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“?
Das Online-Portal „Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten" der Deutschen Digitalen Bibliothek bietet den zentralen Zugang zu digitalisiertem Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten in deutschen Kultur- und Wissenseinrichtungen. Recherchierbar sind Sammlungsgegenstände aus formalen Kolonialherrschaften sowie aus Gebieten, in denen informelle koloniale Strukturen herrschten oder die unter informellem Einfluss von Kolonialmächten standen.
Das Portal wurde in enger Abstimmung mit 25 deutschen Kulturerbeeinrichtungen und Expert*innen aus Herkunftsländern entwickelt. Als Grundlage dienten die „Ersten Eckpunkte zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ von 2019 und die „3 Wege-Strategie“ von 2020.
Seit Juli 2024 steht das Online-Portal in den Sprachen deutsch, englisch und französisch kostenlos zur Verfügung. Eine Anmeldung oder Registrierung sind nicht notwendig.
Das Portal ist erreichbar unter: https://ccc.deutsche-digitale-bibliothek.de
Literatur
- Deutscher Museumsbund (Hrsg.): Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten. Leitfaden, Berlin 2021. Online verfügbar unter: https://www.museumsbund.de/publikationen/leitfaden-zum-umgang-mit-sammlungsgut-aus-kolonialen-kontexten/
- Deutscher Museumsbund (Hrsg.): Umgang mit menschlichen Überresten in Museen und Sammlungen. Leitfaden, Berlin 2021. Online verfügbar unter: https://www.museumsbund.de/publikationen/umgang-mit-menschlichen-ueberresten-in-museen-und-sammlungen/
- Cressida Fforde/C. Timothy McKeown/Honor Keeler (Hrsg.): The Routledge Companion to Indigenous Repatriation. Return, Reconcile, Renew, London/New York 2020
- Hans Fischer: Die Hamburger Südsee-Expedition. Über Ethnographie und Kolonialismus, Hamburg 2007
- Larissa Förster/Iris Edenheiser/Sarah Fründt/Heike Hartmann (Hrsg.): Provenienzforschung zu ethnografischen Sammlungen der Kolonialzeit. Positionen in der aktuellen Debatte, Berlin 2018. Online verfügbar unter: https://edoc.hu-berlin.de/handle/18452/19768
- Larissa Förster: Der Umgang mit der Kolonialzeit: Provenienz und Rückgabe, in: Larissa Förster/Iris Edenheiser (Hrsg.): Museumsethnologie: Eine Einführung. Theorien – Debatten – Praktiken. Berlin 2019, S. 78-103.
- Sarah Fründt: Sensitive Collections, in: Larissa Förster/Iris Edenheiser (Hrsg.): Museumsethnologie: Eine Einführung. Theorien – Debatten – Praktiken. Berlin 2019, S. 134-147.
- Jürgen Gottschlich/Dilek Zaptcioğlu-Gottschlich: Die Schatzjäger des Kaisers. Deutsche Archäologen auf Beutezug im Orient, Berlin 2021
- Rebekka Habermas (Hrsg.): Von Käfern, Märkten und Menschen: Kolonialismus und Wissen in der Moderne, Göttingen 2013
- Jan Hüsgen: Colonial Expeditions and Collecting – The Context of the “Togo-Hinterland” Expedition of 1894/1895, in: Journal for Art Market Studies 1 (2020). Online verfügbar unter: https://www.fokum-jams.org/index.php/jams/article/view/100/184
- Jürgen Osterhammel/Jan C. Jansen: Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen. 8., aktualisierte Auflage, München 2002
- Barbara Plankensteiner (Hrsg.): Benin. Geraubte Geschichte, Hamburg 2022
- Wolfgang Reinhard: Die Unterwerfung der Welt. Globalgeschichte der europäischen Expansion, München 2018
- Bénédicte Savoy/Robert Skwirblies/Isabelle Dolezalek (Hrsg.): Beute. Eine Anthologie zu Kunstraub und Kulturerbe, Berlin 2021 sowie zugehörig Bénédicte Savoy/Merten Lagatz/Philippa Sissis (Hrsg.): Beute. Ein Bildatlas zu Kunstraub und Kulturerbe, Berlin 2021
- Holger Stoecker/Thomas Schnalke/Andreas Winkelmann (Hrsg.): Sammeln, Erforschen, Zurückgeben? Menschliche Gebeine aus der Kolonialzeit in akademischen und musealen Sammlungen, Berlin 2013
- Andreas Winkelmann/Holger Stoecker/Sarah Fründt/Larissa Förster: Interdisziplinäre Provenienzforschung zu menschlichen Überresten aus kolonialen Kontexten. Eine methodische Arbeitshilfe des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste, des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité und von ICOM Deutschland. Heidelberg 2022. Online verfügbar unter: https://doi.org/10.11588/arthistoricum.893
- Joachim Zeller/Marianne Bechhaus-Gerst (Hrsg.): Deutschland postkolonial? Die Gegenwart der imperialen Vergangenheit, Berlin 2021
- Joachim Zeller/Jürgen Zimmerer (Hg.): Völkermord in Deutsch-Südwestafrika. Der Kolonialkrieg (1904-1908) in Namibia und seine Folgen, Berlin 2003
Recherche
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