Rückgaben
Zum Umgang mit Rückgaben
Für den angemessenen Umgang mit Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten gibt es derzeit keine rechtliche Grundlage und auch keine mit den „Washingtoner Prinzipien“ vergleichbare internationale Vereinbarung, auch wenn dies auf unterschiedlichen politischen Ebenen im In- und Ausland immer wieder diskutiert wird.
Zwar gab es bereits seit der Kolonialzeit und verstärkt seit den 1960er Jahren Rückgabeforderungen aus den jeweiligen Herkunftsstaaten bzw. Herkunftsgesellschaften und auch entsprechende Debatten über die Schaffung rechtlicher Rahmenbedingungen. Daraus resultierte beispielsweise die UNESCO Konvention von 1970, die jedoch nicht rückwirkend gilt und damit die Hochphase des Kolonialismus nicht mit umfasst. Gegenstand einer breiteren gesellschaftlichen Debatte wurde die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit in Deutschland erst in den letzten Jahren. Eine internationale Einigkeit zum Umgang mit dem kolonialen Erbe fehlt bis heute. Der Stand der Diskussion zu Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten unterscheidet sich in den verschiedenen (europäischen) Ländern zum Teil erheblich.
Die Zahl der an einer Vereinbarung zu beteiligenden Ländern wäre zudem sehr hoch, da seit dem 15. Jahrhundert nahezu jede Weltregion zumindest zeitweise Teil kolonialer Strukturen war bzw. ist. Entsprechend stammt das nach Europa verbrachte Kultur- und Sammlungsgut aus einer Vielzahl unterschiedlicher Erwerbungskontexte, die jeweils spezifische Formen des Umgangs nach sich ziehen können. Ein angemessener Umgang hängt außerdem von der Art der Sammlung ab: Es macht einen Unterschied, ob es sich um Alltagsobjekte, sakrale Gegenstände oder zoologische Präparate handelt. Neben Rückgaben kommen Lösungen wie dauerhafte Leihgaben, juristische Eigentumsübertragung ohne physische Verbringung der Objekte, finanzielle Entschädigungen oder gemeinsame Bearbeitung und Beforschung von Beständen in Betracht. Eine besondere Stellung nehmen in diesem Zusammenhang die sterblichen Überreste von Personen ein, die sich heute vor allem in anthropologischen oder medizinisch-anatomischen Sammlungen befinden. Hier ist eine Rückgabe mit anschließender Bestattung fast immer die einzig mögliche Form des angemessenen Umgangs, sofern diese von der Herkunftsgesellschaft gewünscht wird.
Neben dem Begriff der Rückgabe werden auch die Begriffe Restitution oder Repatriierung in der Debatte verwendet. Angesichts der Vielzahl von Fällen und Konstellationen hat sich der Begriff Rückgabe als eine Art Oberbegriff durchgesetzt. Der Begriff Repatriierung betont die Rückkehr in einen sozialen bzw. kulturellen Kontext und wird häufig im Bereich der menschlichen Überreste verwendet; der Begriff Restitution betont rechtliche Aspekte wie etwa das Eigentum.
Beispiele für markante Rückgaben
Rückgaben nach Namibia
Namibia spielt in der Debatte um die Rückgabe von Kulturgut sowie menschlichen Überresten mittlerweile eine wichtige Rolle. Seit den 1990er Jahren fanden wiederholt Rückgaben statt. Zunächst gab das Übersee-Museum Bremen im Jahr 1996 zwei Korrespondenzbücher von Hendrik Witbooi zurück, der den Widerstand der Nama gegen die deutsche Kolonialmacht angeführt hatte und dessen Eigentum zum Teil als Kriegsbeute an deutsche Museen verbracht wurde. Die Korrespondenzbücher wurden in das UNESCO-Weltregister „Memory of the World“ aufgenommen und werden heute im Nationalarchiv in Windhoek aufbewahrt. Zwei private Rückgaben von Büchern und Schriftstücken an die Nachkommen von Hendrik Witbooi folgten.
Im Jahr 2011 fand die erste Rückgabe menschlicher Überreste aus der Berliner Charité statt, gefolgt von weiteren Rückgaben 2014 und 2018. Im Zuge dieser drei Rückgaben wurden die sterblichen Überreste von 82 Individuen aus sieben deutschen Institutionen und einer Privatsammlung repatriiert. Sie waren unter anderem aus Gräbern geraubt und während des Kolonialkriegs in Namibia (1904-1908) aus Gefangenenlagern verschleppt worden. Da die individuelle Identität der Gebeine durch Provenienzforschung nicht eruiert werden konnte, wurden die sterblichen Überreste bis dato nicht bestattet.
2019 wurden aus dem Linden-Museum in Stuttgart eine Bibel sowie eine Peitsche zurückgegeben, die ebenfalls Hendrik Witbooi zugeschrieben werden; sie befinden sich heute im Nationalarchiv und im Nationalmuseum in Windhoek. Vom Deutschen Historischen Museum wurde im selben Jahr die so genannte Wappensäule von Cape Cross nach Namibia rückgeführt, die 1486 von portugiesischen Seefahrern an der Küste des Landes errichtet und 1893 demontiert worden war.
Im Jahr 2022 wurden 23 Objekte aus dem Ethnologischen Museum in Berlin an das Nationalmuseum in Windhoek gegeben. Weitere deutsche Museen sind im Gespräch mit namibischen Akteuren über die Rückführung von Kulturgut.
Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste unterstützt die geschilderten Entwicklungen nicht nur durch die Förderung von Provenienzforschung zu einzelnen Objekten, sondern auch durch die Erstellung einer umfassenden Liste von namibischem Kulturgut in Museen und Universitäten im deutschsprachigen Raum und eine dazu erscheinende diesbezügliche Findhilfe.
Rückgabe der „Benin-Bronzen“ an Nigeria
Die koloniale Besetzung des Königreichs Benin durch britische Truppen im Februar 1897 markierte das Ende eines der mächtigsten westafrikanischen Königreiche. Eine der Folgen war die weltweite Verstreuung von tausenden Kunstwerken aus Bronze, Elfenbein und Holz, die aus dem königlichen Palast geraubt worden waren. Ein Teil dieser sogenannten Benin-Bronzen gelangte in deutsche Museen und Sammlungen.
Erste Rückgabeforderungen hatte es bereits in den 1930er Jahren gegeben. Auch in den folgenden Jahrzehnten kam es zu einzelnen Forderungen und Verhandlungen, die allerdings nie in Rückgaben mündeten. Seit 2010 existiert die „Benin Dialogue Group“, in der Museen aus Deutschland, Großbritannien, den Niederlanden, Österreich und Schweden mit nigerianischen Partner:innen und Vertreter:innen des Königshofs von Benin zusammenarbeiten. Sie konzentrierte sich vor allem auf die wissenschaftliche Kooperation.
Im April 2021 verabschiedeten die deutschen Mitgliedsmuseen dieser Gruppe, die Kulturminister:innen der beteiligten Bundesländer, die Stadt Köln als Trägerin des Rautenstrauch-Joest-Museums sowie das Auswärtige Amt auf Einladung der Staatsministerin für Kultur und Medien eine gemeinsame Erklärung zum Umgang mit den in deutschen Museen und Einrichtungen befindlichen „Benin-Bronzen“. Im Oktober 2021 wurde beim Besuch einer deutschen Delegation in Nigeria eine Absichtserklärung unterzeichnet, derzufolge erste Rückgaben im Verlauf des Jahres 2022 erfolgen sollten. Im Juli 2022 kam es dann zur offiziellen „Erklärung über die Rückgabe von Benin-Bronzen und bilaterale Museumskooperation zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Bundesrepublik Nigeria“. Bereits im Zusammenhang mit der Unterzeichnung wurden zwei Benin-Bronzen übergeben. Der eigentliche Auftakt erfolgte im Dezember 2022 mit der Übergabe von zunächst 20 Benin-Bronzen aus Berlin, Hamburg, Leipzig, Stuttgart und Köln. Weitere Rückgaben sollen folgen.
Durch das Zentrum konnten bereits mehrere Projekte gefördert werden, die sich mit der Provenienz von Objekten aus dem Königreich Benin beschäftigten.
Mehr Informationen zu geförderten Projekten finden Sie unserem Projektfinder sowie in unseren Pressemitteilungen.
Repatriierung menschlicher Überreste
Seit 2011 werden aus deutschen Sammlungen auch die sterblichen Überreste von Personen an ihre Nachkommen zurückgegeben. Wichtige Meilensteine für die Diskussion zum richtigen Umgang mit menschlichen Überresten aus kolonialen Kontexten waren die Veröffentlichung der „Empfehlungen zum Umgang mit menschlichen Überresten in Museen und Sammlungen“ des Deutschen Museumsbundes von 2013 (überarbeitete Neuauflage von 2021), die beim Vorliegen eines Unrechtskontextes eine Rückgabe bzw. Bestattung empfehlen, sowie das Eckpunktepapier der Bund-Länder-Kommission von 2019, das der Rückführung von sterblichen Überresten aus kolonialen Kontexten besondere Priorität verleiht. Hier heißt es: „Die generelle Bereitschaft zur Rückführung von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten, insbesondere von menschlichen Überresten, in die Herkunftsstaaten und Herkunftsgesellschaften ist wichtig für den von uns angestrebten partnerschaftlichen Dialog und eine aufrichtige Verständigung. […] Menschliche Überreste aus kolonialen Kontexten sind zurückzuführen.“ (S. 7)
Während der Kolonialzeit waren die Gebeine in der Regel aus Gräbern geraubt oder im Anschluss an militärische Auseinandersetzungen, Hinrichtungen, Inhaftierungen und Misshandlungen nach Deutschland verbracht worden. Provenienzforschung in diesem Bereich versucht daher nicht nur die Umstände der Verbringung zu erkunden, sondern auch die Identifizierung der Verstorbenen sowie die Rekonstruktion ihrer Lebens- und Todesumstände zu erreichen (siehe auch: Arbeitshilfe Interdisziplinäre Provenienzforschung).
Ein Beispiel für eine solche Repatriierung ist die Rückgabe der sterblichen Überreste von acht Individuen an das „Office of Hawaiian Affairs“ (USA) durch das Übersee-Museum Bremen im Februar 2022. Die Provenienzforschung war zuvor vom Zentrum gefördert worden. Die sterblichen Überreste stammen wahrscheinlich aus Grabstätten und waren seit Mitte des 19. Jahrhunderts an das Museum gekommen. Hawaiianische Initiativen und Institutionen bemühen sich seit Jahrzehnten um die Rückführung der an verschiedene westliche Museen verschleppten sterblichen Überreste ihrer Vorfahr:innen. Ziel ist eine Wiederbestattung.