Ausstellungsraum
NS-Raubgut

Antwort auf die „Monuments Men“

Die Ausstellung „Die Reise der Bilder“ im Lentos Kunstmuseum Linz erzählt verständlich und präzise von Hitlers „Sonderauftrag Linz“ und den Folgen des NS-Kunstraubs im Salzkammergut.
Gilbert Lupfer

„Die Reise der Bilder“ – das ist ein recht harmlos klingender Titel für eine bemerkenswerte Ausstellung, die derzeit im Lentos Kunstmuseum Linz präsentiert wird. An den NS-Kunstraub denkt man bei diesem Titel jedenfalls nicht zwangsläufig und auch nicht an ein dramatisches Kapitel aus den letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges, dem George Clooney mit „The Monuments Men“ (2013) ein filmisches Denkmal gesetzt hat. Clooney spitzte dabei zu und vereinfachte manches – diese künstlerische Freiheit sei ihm zugestanden. Die Realität im letzten Kriegsjahr 1945 war noch viel, viel komplizierter – und das zeigt diese Ausstellung, die anlässlich der Ernennung des Salzkammerguts zur „Kulturhauptstadt Europas“ 2024 stattfindet.

Das Salzkammergut, also die Region östlich von Salzburg, war im Zweiten Weltkrieg zu einem bevorzugten Bergungs- und Verwahrungsort für wertvolle Kunstwerke unterschiedlichster Provenienzen geworden. Die Salzbergwerke dort boten sich als sichere Plätze an, durch ihre idealen klimatischen Verhältnisse, aber auch durch ihre Abgeschiedenheit.

In den Stollen bei Altaussee, in Lauffen bei Bad Ischl und an anderen Orten mischten sich Kunstwerke aus öffentlichem, kirchlichem und privatem Besitz, aus Museen, Klöstern und Schlössern. Darunter gab es genauso unstrittiges Eigentum der Einlagerer wie Beispiele des nationalsozialistischen Kunstraubs an jüdischen Sammlerinnen und Sammlern, vor allem aus dem Bestand des „Sonderauftrags Linz“. Zu den prominenten Museen, die im Salzkammergut eine sichere Herberge für ihre Sammlungen fanden, zählten die Schack-Galerie aus München oder das Kunsthistorische Museum und das Belvedere aus Wien. Viele Kunstwerke waren zuvor schon andernorts eingelagert gewesen, bevor sie ins Salzkammergut weiterreisten, so im Schloss Neuschwanstein oder im Stift Kremsmünster, doch diese Orte erschienen mit dem Vorrücken des Kriegsgeschehens nicht mehr sicher genug. Nach Kriegsende wurden die Lager dann möglichst schnell wieder geräumt. Von allen diesen Transporten berichtet die Ausstellung sehr anschaulich, dabei immer die fraglichen Kunstwerke in den Mittepunkt stellend. Ob die aufwendigen, u.a. filmischen Visualisierungen der Verlagerungen wirklich entscheidend zum Erkenntnisgewinn beitragen, sei allerdings dahingestellt.

Dies allein wäre schon Stoff genug für eine Ausstellung, aber „Die Reise der Bilder“ beschränkt sich nicht darauf. Es geht darüber hinaus um das Salzkammergut als Rückzugsort für Kunsthändler, beispielsweise aus Berlin, die in der ländlichen Abgeschiedenheit ihre Geschäfte weiter betreiben konnten. Besonderes Augenmerk wird auf Wolfgang Gurlitt gerichtet, nicht zu verwechseln mit seinem im selben Metier tätigen Cousin Hildebrand Gurlitt, aber wie dieser eine höchst ambivalente Person, die auch in der NS-Zeit trotz partiellem Verfolgungsdruck erfolgreich Handel betreiben konnte. Wolfgang Gurlitt setzte sein Agieren in der Nachkriegszeit in Linz fort und wurde Leiter der „Neuen Galerie Linz“. Da aus dieser später das Lentos Kunstmuseum hervorging, übernahm es mit Werken aus der Gurlitt’schen Sammlung, die zum Bestand der Neuen Galerie gehört hatten, ein zumindest in Teilen potentiell kontaminiertes Erbe. Die Auseinandersetzung damit ist ein weiterer Aspekt der Ausstellung.

Die Seite der Mitläufer und der Profiteure wird also beleuchtet, aber auch die Seite der Opfer. Dafür steht, ausgehend von einer Bleistift-Studie für ein Frauenbildnis von Gustav Klimt („Ria Munk III“), das berührende Schicksal der jüdischen Familie Munk. Die Villa Munk in Bad Aussee wurde „arisiert“, Mitglieder der Familie wurden ermordet.

Ist es in einer Ausstellung zu leisten, alle diese Themen überhaupt angemessen darzustellen? Ja, das ist es. Der Besuch verlangt zwar einiges ab, aber man verlässt das Museum gesättigt mit vielen neuen Informationen und Erfahrungen.

Das liegt zum einen daran, dass die Ausstellungsmacherinnen sich dazu entschlossen haben, ihre Geschichte(n) konsequent entlang von Objekten, also Kunstwerken, zu entwickeln. Eindrucksvoll ist beispielweise ein merkwürdiges, unscheinbares Exponat, das exemplarisch die Komplexität von freiwilligen und unfreiwilligen Kunsttransfers deutlich macht. Es ist ein stark verkleinertes Modell des für die europäische Kunstgeschichte ikonischen, in den 1430er Jahren entstandenen „Genter Altars“, der im Laufe der Jahrhunderte abenteuerliche Orts- und Besitzerwechsel erlebte. Zwei Tafeln befanden sich seit ihrem Ankauf in den 1820er Jahren bis nach dem Ersten Weltkrieg in der Berliner Gemäldegalerie. Dort hatte man, um 1900, dieses Modell aus Schwarzweiß-Fotografien auf Holzrahmen angefertigt, um eine Vorstellung vom gesamten Altar zu geben. Was hat das nun mit dem Salzkammergut zu tun? Nun, 1944 wurde der Genter Altar“, der inzwischen aus Gent nach Südfrankreich ausgelagert war, von deutschen Einheiten nach Altaussee verschleppt und dort dann 1945 von den „Monuments Men“ geborgen – der dramatische Höhepunkt des gleichnamigen Filmes.

Ein weiterer Faktor, der für diese ambitionierte Schau spricht, sind die ungewöhnlich klaren und präzisen Texte. Ihnen gelingt es, auch komplexe Sachverhalte verständlich, präzise und komprimiert zu erklären. Deutlich wird dies beim „Sonderauftrag Linz“, der eben nicht nur, wie häufig verkürzt dargestellt, der Einrichtung von Hitlers geplantem Museum in Linz diente, sondern auch Verteilungsmasse für zahlreiche bereits existierende Museen beschaffte – häufig aus beschlagnahmten jüdischen Sammlungen. Die Texte lassen die Handschrift der Co-Kuratorin Birgit Schwarz erkennen, die seit Jahrzehnten intensiv zum „Sonderauftrag Linz“ forscht und inzwischen eine exzellente Kennerin dieses komplexen NS-Kunstbeschaffungs- und -verteilungssystems ist.

Eine lobens- und empfehlenswerte Ausstellung – mit einer Einschränkung. Die Präsentation bespielt (von einem Nebenraum abgesehen) die Wände des großen Saals im ersten Obergeschoss des Lentos, so dass in der Mitte dieses Saals eine große Leerstelle bleibt. Die Kuratorinnen haben sich für eine Kunst-Installation in dieser Mitte entschieden – eine eigentlich naheliegende Idee, denn das Lentos ist ja nicht zuletzt ein Museum für zeitgenössische Kunst. Die Anordnung zahlreicher Möbel aus einem dreiviertel Jahrhundert deutscher Geschichte soll wohl das Ausstellungsthema kommentieren und konfrontieren, doch das funktioniert nicht überzeugend. Der Besucher fühlt sich eher an den kunterbunten Schauraum eines Möbelhauses geringeren ästhetischen Anspruchs erinnert und bleibt etwas ratlos zurück. Nun, nur wegen dieser Installation wird vermutlich auch niemand nach Linz kommen. Dem Lentos ist es ansonsten gelungen, eine vielschichtige Geschichte überzeugend zu erzählen und damit einen Standard im Genre der Provenienzausstellungen zu setzen. Und der begleitende Katalog fasst den Erkenntnisstand zu allen behandelten Themen zusammen.    

Lentos Kunstmuseum Linz (www.lentos.at): „Die Reise der Bilder. Hitlers Kulturpolitik, Kunsthandel und Einlagerungen in der NS-Zeit im Salzkammergut“ bis 8. September 2024, Ausstellungskatalog „Die Reise der Bilder“, erschienen bei Hirmer, München, 39 Euro.

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Ausstellungsansicht „Reise der Bilder. Hitlers Kulturpolitik, Kunsthandel und Einlagerungen in der NS-Zeit im Salzkammergut", 2024