Romane zum NS-Kunstraub liegen auf einem Tisch
NS-Raubgut

Provenienzforschung am Pool

Zu Uwe Fleckners erstem Roman (und dem NS-Raubkunst-Krimi als literarischer Gattung)
Susanne Meyer-Abich

Schon lange vor den Washington Principles tauchte das Thema des verfolgungsbedingten Kulturgutraubs gelegentlich in der populären Literatur auf. Aus Anlass einer Neuerscheinung im Genre und ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit seien zunächst einige einschlägige Beispiele kurz vorgestellt.

Ein frühes Highlight war der Roman „Provenance“ des US-amerikanischen Schriftstellers Frank McDonald (1979), der im klassischen Stil der Zeit eine Handlung mit Tempo und Panache entfaltet: An den Schauplätzen des internationalen Kunsthandels lassen umwerfend schöne Frauen ihre Handtücher fallen, sinistre Korsen führen Auftragsmorde aus und Protagonisten werden im Rolls-Royce zu Claridge’s chauffiert. Die Grundlage des Plots ist der Verlust einer bedeutenden Kunstsammlung in der NS-Zeit durch Beihilfe einer kollaborierenden Kunsthändlerfamilie, in der unschwer das Haus Wildenstein zu erkennen ist (das damals nicht gegen die Publikation vorging, vielleicht in der Hoffnung, sie wäre rasch vergessen). McDonalds gut geschriebener Erstlingsroman ist immer noch lesenswert, denn seine zugrundeliegende Recherche ist fundiert; antiquarisch noch erhältlich. Es gibt kaum Hinweise, was McDonald zu dem Buch motivierte. Lediglich eine entlegene Rezension von Carol Felsenthal, von 1987 und online aufzutreiben, beschreibt die Geschichte als Zufallsentdeckung während eines Europa-Aufenthalts, die eine mehrjährige Recherche nach sich zog.

Peter Watson ist dagegen schon sehr lange und noch immer im Geschäft des Kunstmarkt-Thrillers. Sein „Stones of Treason“ (1991) arbeitet ebenfalls mit dem Hintergrund einer NS-Raubgut-Provenienz. Dieser dient allerdings eher zur Verdichtung des Plots als dass er wesentlich die Handlung vorantriebe. NS-Raubkunst ist lediglich eine nützliche literarische Chiffre für die Undurchsichtigkeit und dunklen Machenschaften eines Marktes, der bis heute gern in Literatur, Film und Populärkultur als intransparente Spielwiese der Schönen und Reichen dargestellt wird.

Das gleiche gilt für „The Soldier in the Wheatfield“ (1998) des britischen Autors und Auktionshausexperten für Kunst des Impressionismus, Philip Hook. Er nahm den NS-Kunstraub in mehreren Romanen als Hintergrund und Movens der Handlung. Die Fachkenntnis des Verfassers in Fragen der Kunstgeschichte und des Kunstmarkts ist in jedem Detail ersichtlich; leider bleiben insbesondere die weiblichen Charaktere eher blass und der Kulturgutraub bei ihm Kulisse. Nebenbei: Hooks lesenswertestes Buch scheint der Rezensentin immer noch „Optical Illusions“ (1993), das autobiographische und wiedererkennbar skurrile Erlebnisse aus Hooks früherer Auktionshauskarriere verarbeitet – hier spielt die NS-Zeit allerdings keine Rolle.

Das lässt sich von Michael Pye’s „The Pieces from Berlin” (2003) nicht behaupten. Inspiriert von der Geschichte der Händlerin Andreina Torré-Schwegler, erstmals von dem Schweizer Historiker Thomas Buomberger thematisiert und zur Zeit durch die Provenienzforschung näher untersucht, geht es um eine schillernde Figur, die sich in der NS-Zeit eine Masse von Objekten aneignete, mit denen sie nach dem Krieg in der Schweiz einen erfolgreichen Handel eröffnete. Die Rechtfertigungen (“I only helped people, […] I tried to protect all the beautiful things that people had”, S. 264) klingen authentisch, und das moralische Dilemma überzeugt. In der Provenienzforschung wie auch in Familien trifft man häufig genau auf solche Unrechtsbegründungen. Genau genommen passt dieses Buch nicht ganz in die Gattung Kriminalroman, bei dem eine spannende Handlung im Vordergrund steht, sondern gehört eher zu einer literarischen Variante des Themas.

Dort ist auch Barbara Bongartz‘ „Perlensamt“ (2009) anzusiedeln, weil nur nominell ein Kriminalroman. Sprachlich recht kalorienreich (ein Kritiker schnaubte zum Erscheinungszeitpunkt über die literarischen Manierismen), atmosphärisch detailliert und dicht, ist das Buch ein komplexes Verwirrspiel darüber, was zwischen den Charakteren echt und was wahr ist. Dabei fungiert die NS-Raubkunst als Vexierbild und die Figur des von 1940 bis 1944 in Frankreich amtierenden deutschen Botschafters und Raubkunst-Akteurs Otto Abetz als historischer Angelpunkt.

Ein absoluter Profi des Genres ist Daniel Silva. Unter seinen zahlreichen, exzellent recherchierten Kunstwelt-Krimis um den israelischen Ex-Geheimagenten und Restaurator Gabriel Allon, dem eine Beretta ebenso gut wie der Marderpinsel zu Gesicht steht, passt insbesondere „The Rembrandt Affair“ zur NS-Raubkunst-Thematik. Hier steht das Kunstwerk sofort im Zentrum des Geschehens, denn ein Restaurator (das wäre Allon nicht passiert) wurde erschossen und das Gemälde gestohlen. Allon verfolgt die Provenienz und begegnet einer Reihe ausgezeichnet charakterisierter Figuren. Und hier ist das Gemälde eben auch der Preis für ein Menschenleben und keine kunsthistorische Anekdote.

Inzwischen ist übrigens auch der koloniale Restitutionskrimi auf dem Markt angekommen: In Xavier-Marie Bonnots „Die Melodie der Geister“ (2011 im französischen Original, 2015 Deutsch) übernimmt der Marseiller Kommissar Michel de Palma den Fall eines ermordeten Ethnologen. Die Atmosphäre der Stadt Marseille in dem Roman verdankt sich mit Jean-Claude Izzo einem großen Vorbild. Das Mordmotiv hängt unmittelbar mit der Forschungs- und Sammlervergangenheit des Opfers zusammen, und die unheimliche Wirkung der Beschreibung der Objekte aus afrikanischen Herkunftsgesellschaften im düster möblierten Arbeitszimmer des Opfers trägt zum Gänsehaut-Effekt bei.

Die neueste Erscheinung unter den NS-Raubkunst-Krimis ist der kürzlich erschienene erste Roman des Kunsthistorikers Uwe Fleckner, „Im Schatten der Blauen Pferde“ (2023). Die Geschichte kreist um das wohl berühmteste in der NS-Zeit verlorene Gemälde: Franz Marcs „Turm der blauen Pferde“. Der Kunsthistoriker-Protagonist, dessen investigative Natur bereits der Nachname Kisch überdeutlich macht, widmet sein Leben der obsessiven Suche nach diesem Bild, nicht zuletzt deswegen kürzlich von der Lebensgefährtin geschasst. Den Auftakt des Romans bilden fieberhafte Gedanken des Künstlers Franz Marc im Schützengraben vor Verdun. Dann folgt eine Art Filmschwenk in das heutige Los Angeles. Hier trifft der getriebene, professionell leicht abgehalfterte Forscher auf eine Provenienzforscherin am Getty Institute. Diese Begegnung ist mehr als vorhersehbar: Der virile Blick trifft auf dieses Objekt der Begierde (körperbetontes rotes Designerkleid), deren „Nachdenklichkeit“ die Frau „noch attraktiver“ macht. Auch hier bleiben die weiblichen Figuren eher konturlos, sieht man von Körperkonturen ab.

Inhaltlich überzeugen viele Passagen zu kunstgeschichtlichen Ereignissen. Die Fachkenntnis des Autors, der seit Jahren zu dieser Epoche forscht, steht außer Frage. Die historischen Figuren rund um die Entfernung moderner Werke aus deutschen Museen werden erlebbar, insbesondere Carl Einstein, zu dem Fleckner wissenschaftlich publiziert hat, aber auch der glühende Nazi Wolfgang Willrich. Die tödliche Bedrohung der Verfolgten bleibt hingegen vage. Der Blick auf Göring und Konsorten ist leicht distanziert: Sie erscheinen in ihrer Dummheit und ihrem Mangel an kulturellem Verständnis als karikaturenhafte Proleten. Todesangst wäre dem Zeitgeschehen angemessen, aber der Blick des Autors ist der aus der sicheren Gegenwart – er kann es sich leisten, auf diese Figuren herunterzusehen. Dramaturgisch eignet sich die „entartete“ Kunst allerdings auch weniger für einen spannenden Plot: Wenn ein totalitäres Regime Kunstwerke aus gleichgeschalteten Museen entfernt, um sie zu verkaufen, geht es nicht ums Überleben, sondern scheinbar um Ästhetik. Auch wenn die Provenienzforschung im Roman als Entdeckung des moralischen Gewissens der Kunstgeschichte dargestellt wird, wird das kaum genügen, sie im Fach auf Augenhöhe anzusiedeln.

Um die historische Einbindung zu fixieren, gibt es einen dichten Katalog von Namen der historischen Kunstwelt. Es wird fast niemand ausgelassen, von den deutschen Exilanten in Kalifornien über die gesamte Kulturszene der Weimarer Republik. Es treten u.a. folgende historische Figuren unter eigenem Namen auf: Franz Marc, Ludwig Justi, Maria Marc, G.F. Reber, Carl Einstein, Wolfgang Willrich, Joseph Goebbels, Adolf Ziegler, Eberhard Hanfstaengl, Paul Ortwin Rave, Charlotte Weidler, Ludwig Meidner, Arnold Waldschmidt, Adolf Hitler, Hermann Göring, Josef Angerer, Marlene Dietrich, Galka Scheyer, Erich Maria Remarque, Lette Valeska, Harpo Marx, Leopold Stokowski, Ruth Maitland, Jules Furthmann, John Cage, Walter Andreas Hofer, Karl Buchholz, und nebenbei finden noch zahlreiche Dritte Erwähnung.

Das Buch ist vor allem eine Hommage an das Getty Institut, eine Kameraderie der Forschenden und die US-amerikanische Westküstenwelt. Das Getty – mit einem leicht ironischen Blick auf die Blase der Fachwelt, die sich am Pool trifft – und seine Forschungskultur sind ein Sehnsuchtsort. Der Autor gibt lebhaft und mit echtem Interesse die historischen Protagonisten und Kunstgeschichte wieder, hat aber mit emotionalen und subjektiven fiktiven Erzählelementen seine Schwierigkeiten (wenn ein Gedanke „wie eine Kugel durch den Kopf schießt“ oder das Duschwasser die unterdrückten Tränen des Herrn Kisch über Momente des Scheiterns im Leben ersetzen soll). Muss ein Tisch voller Flaschen unbedingt an Giorgio Morandi erinnern? So geraten Dialoge auch hölzern („Lieben Sie das Autofahren in Los Angeles auch so wie ich?“ oder „Es ist seltsam, aber mir kommt es so vor, als würden wir uns schon ewig kennen“).

Wenn ein Wissenschaftler relativ spät seinen ersten Roman und diesen vor der Kulisse seines Fachgebiets veröffentlicht, sollte man auf jeden Fall eines erwarten: dass ihm das Schreiben ein diebisches Vergnügen bereitet hat. Man kann es dem Verfasser nur wünschen. Die Pointe der Handlung um das verlorene Meisterwerk (kein Spoiler) ist jedenfalls fachimmanent: Das Bild wird von der Kunst selbst vereinnahmt. Nur dem allerakademischsten Leser wird an dieser Stelle der Atem stocken.