Wände in einer Ausstellung
NS-Raubgut

„Raub“

Eine ungewöhnliche Doppelausstellung ist derzeit im Jüdischen Museum Wien und im Wien Museum zu sehen.
Gilbert Lupfer

Schlicht und einfach „Raub“ ist der Titel einer Doppelausstellung, die noch bis zum 27. Oktober 2024 in Wien zu sehen ist, parallel im Jüdischen Museum am Judenplatz und im Wien Museum am Karlsplatz. Es geht dort um die systematische, massenhafte und brutale Ausplünderung der jüdischen Einwohnerschaft Wiens nach dem sogenannten Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938. Der Fokus richtet sich auf Kulturgüter, die ihren jüdischen Besitzerinnen und Besitzern geraubt, entzogen oder abgepresst wurden, bevor die städtischen Museen Wiens sich die Werke einverleibten.

Doch es geht nicht nur um die Ereignisse in den späten 1930er Jahren, sondern auch um den weiteren Weg der Beraubten und vor allem des Raubgutes. Insofern trifft der Titel nicht den gesamten Inhalt der Doppelausstellung. Vielleicht wäre „Raub und Restitution“ treffender, konnte ein Großteil der entzogenen Objekte doch Jahrzehnte später – und damit eigentlich viel, viel zu spät – zurückgegeben werden. Doch dieser Titel ist bereits vergeben, er überschrieb eine Ausstellung 2008/09 im Jüdischen Museum Berlin (und anschließend im Jüdischen Museum Frankfurt am Main), die, kuratiert von Inka Bertz und Michael Dorrmann, das Genre der Provenienz-Ausstellungen mitbegründete und bis heute als vorbildlich gelten kann. 

So bleibt eine gewisse Verwunderung über den lapidaren Titel, zumal man im Wien Museum eine durchaus respektable (Teil-)Bilanz der Provenienzforschung Wiener städtischer Museen in den letzten Jahren findet. Eine selbstzufriedene Erfolgsbilanz hatten die beiden Wiener Kuratoren Hannes Sulzenbacher und Gerhard Milchrahm allerdings nicht im Sinn. Ganz im Gegenteil: Die skrupellose Besitzgier (die Ausstellung sollte übrigens ursprünglich „Gier“ heißen), das moralische Versagen der Museen bzw. ihrer Leitungen über Jahrzehnte hinweg, die Ignoranz im Umgang mit den Beraubten und ihren Nachkommen sind in Wien (wie anderswo in Österreich und Deutschland) nicht zu entschuldigen und nicht zu rechtfertigen. „Schließlich stellt die ‚Wiedergutmachung‘ der Verbrechen kein Ungeschehenmachen dar.“, schreiben die Kuratoren in der Einleitung zu dem schmalen, empfehlenswerten Begleitband (Hannes Sulzenbacher, Gerhard Milchrahm: Raub ausstellen, in: Diess. (Hg.): Raub. Wien 2024, S.7). Und so sollte der unmissverständlich kurze Titel der Ausstellung wohl gerade kein versöhnliches Ende suggerieren, sondern ganz bewusst nur den Ausgangspunkt, den auf die Kurzformel gebrachten brutalen Entzug des Jahres 1938 und die „einfach unanständige Aneignung“ (ebd.) thematisieren.

Es empfiehlt sich, die Doppelausstellung mit der Station im Jüdischen Museum am Judenplatz zu beginnen. Dieser Ort steht für die Kuratoren symbolisch für die tausenden Wiener Wohnungen und Häuser, in denen geplündert wurde. In den beiden überschaubaren Erdgeschossräumen werden auf zwölf Stelen zwölf exemplarische Fälle in sehr gut verständlich geschriebenen Texten vorgestellt, bei denen gerade nicht wertvolle, berühmte Kunstwerke im Mittelpunkt stehen, sondern auch alltägliche Objekte wie die Knöpfe aus der Sammlung des Dr. jur. Siegfried Fuchs, Ausschneidebögen (sog. Mandlbögen), denen die Leidenschaft des Bibliothekars Moritz Grünebaum galt, oder auch Uhren aus dem Besitz des Uhrmachers Alexander Grosz.

So unterschiedlich wie die Objekte waren die Wege, auf denen sie in den Bestand der Wiener Museen gelangten: Der tschechische Staatsbürger Oscar Bondy entschied im Frühjahr 1938 klugerweise, nicht nach Wien zurück zu kommen und konnte so sein Leben retten; seine Sammlung wurde beschlagnahmt und unter „Denkmalschutz“ gestellt. Siegfried Fuchs musste, nachdem seine Anwaltskanzlei geschlossen worden war, seine Sammlung Stück für Stück verkaufen, um den Lebensunterhalt zu sichern. Alexander Grosz wurde gezwungen, sein Uhrmachergeschäft zu schließen; der zwangseingesetzte Verwalter verkaufte den Bestand und veruntreute das Geld.

Es sind traurige Geschichten von Sammlern, die zuvor oft eine wichtige gesellschaftliche Rolle in Wien gespielt hatten, und von ihren Sammlungen. Noch deprimierender werden diese Geschichten, wenn man den informativen Texttafeln entnimmt, mit welcher Unverfrorenheit und Raffinesse sich Museen ihre Wunschstücke sichern konnten. Bisweilen scheint man nur auf den richtigen Moment gewartet zu haben, um seine Sammlung billig zu bereichern. 

Die Fortsetzung der zwölf Geschichten nach dem Ende der NS-Diktatur erfährt man dann im Wien Museum. Man muss zunächst den Verlockungen der neuen Dauerausstellung in den unteren Geschossen des erst vor kurzem völlig umgebauten und erweiterten Gebäudes am Karlsplatz widerstehen und sich zur Wechselausstellungsfläche im dritten Obergeschoss durcharbeiten, um zu erfahren, wie die Wiener Museen mit ihrem unseligen „Erbe“ umgegangen sind – oder, besser gesagt, eben jahrzehntelang nicht umgegangen sind. Noch 1998 behauptete der Direktor des Historischen Museums, es dürfte in den Beständen „kaum unrechtmäßigen Besitz geben“. Wenig später musste er dann, angesichts der ersten Ergebnisse der Provenienzforschung, gewunden formulierend konstatieren: „Die Unschuld dieses Hauses ist nicht ganz die, von der ich angenommen habe, dass sie es ist.“ (Begleitband, S.8). Nein, das war sie wirklich nicht. Doch damit stehen die Wiener städtischen Museen nicht alleine: Vor Beginn der 2000er Jahre dürfte sich kaum ein Museum in Deutschland oder Österreich wirklich ernsthaft mit den dunklen Seiten seiner Vergangenheit auseinandergesetzt haben. Oder, schlimmer noch: Man fand alles ganz in Ordnung, Hauptsache die Werke waren sicher an dem Ort, an den sie vermeintlich gehörten, nämlich im Depot des Museums.

Diese Haltung hat sich inzwischen in den allermeisten Museen verändert, und so erzählt die Ausstellung eben auch von Restitutionen und deren Schwierigkeiten (weil es beispielsweise heute sehr schwierig sein kann, Nachkommen ausfindig zu machen). Dass aber auch eine Restitution begangenes Unrecht nicht einfach ungeschehen machen kann, daran lassen die Kuratoren keinen Zweifel.

Nun war viel von den Texten an beiden Ausstellungsorten die Rede, die kaum Anlass zur Kritik bieten dürften. Doch es gibt daneben eine weitere Vermittlungs- und Visualisierungsebene, die einige Fragen aufwirft: eine tonlose Filmspur, integriert in jede Stele. Am Ausstellungsort Judenplatz wird das vorsichtige Einpacken der Objekte nach höchsten Museumsstandards gezeigt. Am Schluss der jeweils wenige Minuten langen Sequenzen sind diese Objekte in klinisch weißen, perfekten Transportkisten verschwunden. Am Karlsplatz ist dann die Fortsetzung zu sehen: Wieder schaut man Spezialisten bei der Arbeit zu, diesmal beim behutsamen Auspacken im Museumsdepot und beim Einsortieren in Regale oder an Hängewände. Die Objekte scheinen an ihrem Bestimmungsort angekommen zu sein.

Wer bei diesen Filmen nun etwa eine konkrete Bebilderung historischer Situationen erwartet hat, der wird stark irritiert. Denn natürlich spiegelt das sorgsame Einpacken überhaupt nicht den Raub von 1938, der ganz sicher weniger sorgsam vor sich ging. Und auch das Auspacken und Einsortieren im Museum nach heutigen Standards kann kaum die damalige Einverleibung simulieren. Sucht man hier einen konkreten Bezug, so wird man enttäuscht. Man muss diese Filme wohl als künstlerische Intervention eigenen Wertes verstehen. Vielleicht soll sie den Objekten und damit auch ihren ehemaligen Eigentümerinnen und Eigentümern ihre Würde zurückgeben. Jedenfalls sieht man in den Kurzfilmen, medial vermittelt, die einst geraubten Schätze, auf deren physische Präsenz in der Ausstellung die Kuratoren bewusst verzichtet haben. Dabei wäre es in etlichen Fällen wohl möglich gewesen, die Objekte selbst auszustellen, denn viele von ihnen wurden von den Wiener Museen nach der Restitution wieder von den Nachfahren erworben oder von diesen geschenkt, befinden sich also heute – und zwar diesmal völlig zurecht – wieder im Museumsbestand. Das Nicht-Zeigen der Originale war also eine bewusste kuratorische Entscheidung – eine Entscheidung, die verwundern mag, die aber immerhin die Wiener Doppelausstellung markant von vielen anderen Präsentationen zu dieser Thematik deutlich unterscheidet. Und vielleicht rückt ja das Nicht-Zeigen umso mehr die Geschichte der Sammlerinnen und Sammler in den Vordergrund.  

Ausstellung „Raub“, Jüdisches Museum Wien am Judenplatz und Wien Museum, bis zum 27. Oktober 2024
Begleitpublikation „Raub“, hgg. von Hannes Sulzenbacher und Gerhard Milchrahm im Auftrag des Jüdischen Museums Wien und des Wien Museums, Wien 2024