Gebetbuch mit handschriftlichem Eintrag
NS-Raubgut

Bibliothek der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt restituiert Gebetbuch von Holocaust-Opfer an Enkelin

Die Bibliothek der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) hat ein Exemplar des bis heute in Deutschland weit verbreiteten Gebetbuches „Sidur Sefat Emet“ an die Nachfahrin eines im Nationalsozialismus ermordeten jüdischen Sulzbürger Bürgers restituiert.

Ein handschriftlicher Eintrag im Umschlag verweist auf den ursprünglichen Besitzer: „Wolf Grünebaum, Sulzbürg i. Obpf, 4. Mai 1926“. Das Buch ist der einzige noch überlieferte Gegenstand Grünebaums, der vermutlich im Jahr 1942 in einem Vernichtungslager ermordet wurde. Nun konnte der Band an seine in den USA lebende Enkelin Sylvia Gruen Salomon übergeben werden.

Sie wurde erst im August 1949 geboren und hat ihren Großvater nicht mehr kennengelernt. Noch 1940 war ihrem Vater Alfred mit seiner Frau Irma und dem 1937 geborenen Sohn Joachim die Flucht in die USA geglückt. Auch Alfreds Bruder Justin konnte auf anderen Wegen zunächst nach Kanada, dann in die USA entkommen. Doch Wolf Grünebaum ließ sich von seinen Söhnen nicht von der Flucht überzeugen und blieb bis zuletzt in Sulzbürg in der Oberpfalz. Er hatte im Ersten Weltkrieg für Deutschland gekämpft und hoffte – wie er seinen Söhnen oft erwidert haben soll –, dass ihn sein Status als Kriegsveteran schützen würde.

Wolf Grünebaums Enkelin Sylvia Gruen Salomon lebt heute in Nashville, Tennessee. Sie betont: „Die Rückgabe des Sidur meines Großvaters an unsere Familie bedeutet mir und allen unseren Verwandten sehr viel! Es ist das einzige greifbare Artefakt, das wir vom Vater meines Vaters besitzen. Von meinen Großeltern mütterlicherseits ist kein einziger Gegenstand überliefert.“ Sylvia Salomon hat den Band nun ihren Enkelinnen geschenkt.

Viele Bemühungen von engagierten Institutionen und Personen haben ineinandergegriffen, um die Restitution des Buches an die Familie zu ermöglichen. Ein Ausgangspunkt der Restitution war ein vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste gefördertes Projekt der Universitätsbibliothek der KU, mit dem die Herkunft von rund 60 hebräischen Werken aus dem 17. bis 20. Jahrhundert geklärt werden sollte, die nachweislich aus Sulzbürg stammen. Das Konvolut gehört zum Bestand des Eichstätter Priesterseminars, den die Universitätsbibliothek mitbetreut. Ein ab 1944 in Sulzbürg tätiger Ortsgeistliche hatte die Sammlung an den früheren Regens des Priesterseminars übergeben. Dieser übereignete sie wiederum 1985 der Seminarbibliothek. Durch welche Hände die Exemplare vor und nach 1942 gegangen sind, ließ sich im Rahmen des Projektes zwar nicht abschließend klären, jedoch mündete die Forschung zum einen in einer Ausstellung der Bücher an ihrem Herkunftsort in Sulzbürg, die dort bis Anfang des Jahres zu sehen war. Zum anderen konstituierte sich für das Projekt eine Arbeitsgruppe, die wiederum neue Impulse setzte, um die Lebenslinien und Nachkommen der früheren Besitzer:innen weiter zu recherchieren.

Wolf Grünebaum war in den 1920er Jahren Mitglied des Gemeinderats Sulzbürg und ab 1931 bis zu seiner Deportation Vorsteher der jüdischen Kultusgemeinde. Er war 65 Jahre alt, als er am Karfreitag 1942 zusammen mit seiner Frau Amalie von einem Gendarmen zur Bahnstation nahe ihres Wohnortes Sulzbürg abgeführt wurde. Ebenso das junge jüdische Ehepaar Regensburger, für das Wolf Grünebaum einige Zeit zuvor noch als Trauzeuge fungiert hatte. Die Ehepaare Grünebaum und Regensburger wurden noch am selben Tag mit Jüdinnen und Juden aus Neumarkt nach Regensburg gebracht und am 4. April 1942 als Nr. 92/93 bzw. 175/176 der Deportationsliste von Regensburg in das Ghetto Piaski südöstlich von Lublin deportiert. Ihre Lebenslinien enden dort oder in einem der Vernichtungslager Belzec oder Sobibor.
Seit November letzten Jahres erinnern zwei Stolpersteine in Sulzbürg an das Schicksal von Wolf und Amalie Grünebaum.

Die Universitätsbibliothek der KU bietet hier dauerhaft digital Einblick in den Sulzbürger Bestand und informiert über die Ergebnisse des Forschungsprojektes.

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