Koloniale Kontexte

Neue Arbeitshilfe zum Umgang mit menschlichen Überresten aus kolonialen Kontexten

In vielen Museen und Universitäten befinden sich Schädel, Skelettteile, Gebeine, die während der Kolonialzeit in deutsche Sammlungen verbracht wurden. Über den angemessenen Umgang mit diesem sensiblen Sammlungsgut wird schon seit längerem intensiv diskutiert. Häufig ist die Herkunft der sogenannten menschlichen Überreste unklar, wurden sie doch meist heimlich ausgegraben, gestohlen oder unfair erhandelt. Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste, das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité und ICOM Deutschland veröffentlichen nun mit der Arbeitshilfe Interdisziplinäre Provenienzforschung zu menschlichen Überresten aus kolonialen Kontexten eine Einführung in wissenschaftlich fundierte Methoden zur Klärung der Herkunft von menschlichen Überresten. Die Erforschung der Provenienz ist ein wichtiges Element bei der Zusammenarbeit mit Nachfahr:innen und kann und soll zur Repatriierung und (Wieder-)Bestattung von menschlichen Überresten führen.

Die Ar­beits­hil­fe ist ge­dacht für bio­lo­gisch-an­thro­po­lo­gi­sche, ana­to­mi­sche und me­di­zin­his­to­ri­sche Samm­lun­gen mensch­li­cher Über­res­te vor al­lem an Uni­ver­si­tä­ten und Mu­se­en in Deutsch­land, er­gänzt durch ei­nen Ap­pen­dix zur Si­tua­ti­on in Ös­ter­reich. Die In­ter­dis­zi­pli­na­ri­tät und das Zu­sam­men­spiel der Me­tho­den ste­hen im Vor­der­grund. Die Ar­beits­hil­fe ent­hält aus­führ­li­che Hin­wei­se zu his­to­ri­schen und an­thro­po­lo­gisch-na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Me­tho­den der Pro­ve­ni­enz­for­schung so­wie zur Do­ku­men­ta­ti­on der Re­cher­che­er­geb­nis­se. Er­ör­tert wer­den eben­so die trans­kul­tu­rel­len und trans­na­tio­na­len Di­men­sio­nen von Pro­ve­ni­enz­for­schung. Zur Ver­an­schau­li­chung wer­den in al­len Ka­pi­teln Fall­bei­spie­le auf­ge­führt.

„Das Zu­sam­men­spiel na­tur­wis­sen­schaft­li­cher und kul­tur­wis­sen­schaft­lich-his­to­ri­scher Me­tho­den und Vor­ge­hens­wei­sen stellt ei­ne be­son­de­re Her­aus­for­de­rung für Pro­ve­ni­enz­for­scher:in­nen dar. Sie kom­men in der Re­gel aus ei­nem der bei­den Wis­sen­schafts­be­rei­che und müs­sen sich in den an­de­ren Be­reich ein­le­sen bzw. ein­ar­bei­ten. Da­bei soll sie die­se Ar­beits­hil­fe ge­zielt un­ter­stüt­zen. Sie er­läu­tert das Po­ten­zi­al, das in der Ver­bin­dung un­ter­schied­li­cher Me­tho­den und An­sät­ze so­wie im Aus­tausch mit Ex­pert:in­nen aus den Her­kunfts­län­dern der ver­stor­be­nen In­di­vi­du­en und/oder mit de­ren Nach­fahr:in­nen liegt“, sagt Dr. La­ris­sa Förs­ter, Lei­te­rin des Fach­be­reichs Kul­tur- und Samm­lungs­gut aus ko­lo­nia­len Kon­tex­ten am Deut­schen Zen­trum Kul­tur­gut­ver­lus­te.

Prof. Dr. Tho­mas Schnal­ke, Di­rek­tor des Ber­li­ner Me­di­zin­his­to­ri­schen Mu­se­ums der Cha­rité, be­tont: „Mensch­li­che Über­res­te aus ko­lo­nia­len Kon­tex­ten sind in je­der Hin­sicht sen­si­ble Ob­jek­te. Die Re­cher­che ih­rer Her­kunft er­folgt in al­ler Re­gel als Ein­zel­fall-Ana­ly­se. Wir freu­en uns als Ber­li­ner Me­di­zin­his­to­ri­sches Mu­se­um, hier­für zu­sam­men mit un­se­ren Part­nern ei­ne hof­fent­lich hilf­rei­che, pra­xis­ori­en­tier­te Hand­rei­chung vor­le­gen zu kön­nen.“

„Die Ar­beits­hil­fe lie­fert ei­nen wich­ti­gen Bei­trag zu ei­nem ge­rech­ten und an­ge­mes­se­nen Um­gang mit mensch­li­chen Re­lik­ten. ICOM Deutsch­land dankt den bei­den In­sti­tu­tio­nen für die­se wich­ti­ge Ko­ope­ra­ti­on und be­son­ders den Au­tor:in­nen, die sich mit ih­rer wis­sen­schaft­li­chen Ex­per­ti­se be­reits seit vie­len Jah­ren um ei­nen wür­di­gen Um­gang und den für al­le Be­tei­lig­ten ad­äqua­ten Dia­log ver­dient ma­chen“, sagt Bea­te Rei­fen­scheid, Prä­si­den­tin ICOM Deutsch­land.

Bi­blio­gra­fi­sche An­ga­ben
Win­kel­mann, An­dre­as; Sto­e­cker, Hol­ger; Fründt, Sa­rah; Förs­ter, La­ris­sa: In­ter­dis­zi­pli­näre Pro­ve­ni­enz­for­schung zu mensch­li­chen Über­res­ten aus ko­lo­nia­len Kon­tex­ten. Ei­ne me­tho­di­sche Ar­beits­hil­fe des Deut­schen Zen­trums Kul­tur­gut­ver­lus­te, des Ber­li­ner Me­di­zin­his­to­ri­schen Mu­se­ums der Cha­rité und von ICOM Deutsch­land. Hrsg. von ICOM Deutsch­land. Hei­del­berg: ar­this­to­ri­cum.net 2022. 100 S. Bei­trä­ge zur Mu­seo­lo­gie, Bd. 11.
eISBN 978-3-98501-028-8.*
DOI: htt­ps://doi.org/10.11588/ar­this­to­ri­cum.893
*Die Print­ver­si­on be­fin­det sich in Vor­be­rei­tung.

Über die Au­tor:in­nen

La­ris­sa Förs­ter ist Lei­te­rin des Fach­be­reichs „Kul­tur- und Samm­lungs­gut aus ko­lo­nia­len Kon­tex­ten“ am Deut­schen Zen­trum Kul­tur­gut­ver­lus­te.

Sa­rah Fründt ist wis­sen­schaft­li­che Re­fe­ren­tin am Fach­be­reich „Kul­tur- und Samm­lungs­gut aus ko­lo­nia­len Kon­tex­ten“ des Deut­schen Zen­trums Kul­tur­gut­ver­lus­te und An­sprech­part­ne­rin für Pro­ve­ni­enz­for­schung an mensch­li­chen Über­res­ten.

Hol­ger Sto­e­cker ist His­to­ri­ker und be­fasst sich mit der afri­ka­nisch-deut­schen Ko­lo­ni­al- und Wis­sen­schafts­ge­schich­te so­wie mit Pro­ve­ni­enz­for­schun­gen zu mensch­li­chen Über­res­ten aus ko­lo­nia­len Kon­tex­ten.

An­dre­as Win­kel­mann ist Pro­fes­sor für Ana­to­mie an der Me­di­zi­ni­schen Hoch­schu­le Bran­den­burg in Neu­rup­pin und forscht zur Ge­schich­te und Ethik sei­nes Fachs.