Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste bewilligt in der ersten Förderrunde 2022 rund 3,1 Millionen Euro für 24 Projekte der Provenienzforschung im Bereich „NS-Raubgut“
Am Vormittag des 6. Mai 1933 stürmte eine Gruppe der Deutschen Studentenschaft randalierend und plündernd das Institut für Sexualwissenschaft in Berlin-Tiergarten. Vier Tage später brannten die geraubten Schriften auf dem Berliner Opernplatz. Institutsdirektor Magnus Hirschfeld schätzte später, dass 12.000 seiner Bücher der Bücherverbrennung durch das NS-Regime zum Opfer fielen. Große Teile seiner Bibliothek und seines Archivs gingen in Flammen auf, die übrigen Archivalien, Patientenakten, Kunstwerke, Demonstrations- oder Sexual-Objekte wurden zerstört, gestohlen, verkauft und verteilt. Hirschfeld erwarb später im Exil Teile der Bestände zurück, um sein Institut in Paris neu zu gründen. Doch dazu sollte es nicht kommen: Der Sexualaufklärer, der heute auch als Vordenker queerer Emanzipationsbewegungen gilt, verstarb 1935 an seinem 67. Geburtstag in Nizza. Im Rahmen eines vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste geförderten Projekts will nun die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V. versuchen, den verlorenen Bestand und die bis 1936 fortdauernden Konfiskationen zu rekonstruieren. Dabei soll ein bebilderter Katalog entstehen, der Museen und Sammlungen zur Überprüfung ihrer Bestände dienen kann.
Das Projekt ist eines von 24 Forschungsvorhaben im Bereich NS-Raubgut, die in der ersten Förderrunde des Jahres 2022 vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg finanziell unterstützt werden. Der Vorstand des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste hat auf Empfehlung seines Förderbeirates in dieser ersten Antragsrunde rund 3,1 Millionen Euro für Provenienzforschung an Museen, Bibliotheken, wissenschaftlichen Einrichtungen sowie für private Antragsteller bewilligt.
Unter anderem wird auch das Deutsche Museum in München, eines der bedeutendsten Wissenschafts- und Technikmuseen der Welt, einen größeren Bestand auf seine Herkunft überprüfen. Bisher ging man davon aus, dass das Museum nur in Einzelfällen betroffen sei. Recherchen haben nun bei einer mindestens dreistelligen Zahl von Objekten Verdachtsmomente für eine mögliche Provenienz aus NS-Kontexten gezeigt. Darunter sind Schreibmaschinen, Musikinstrumente, ein wertvolles Graphometer – und ein Flugzeug.
Bund und Länder haben seit 2008 die Provenienzforschung im Bereich NS-Raubgut mit insgesamt rund 44.9 Millionen Euro gefördert, mit denen bislang 415 Projekte realisiert werden konnten. Das von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden zum 01.01.2015 gegründete Deutsche Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg ist in Deutschland zentraler Ansprechpartner zu Fragen unrechtmäßig entzogenen Kulturguts. Das Zentrum wird von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien institutionell gefördert und erhält von dort auch die Mittel für seine Projektförderung. Anträge für längerfristige Projekte können jeweils bis zum 1. Januar und 1. Juni eines Jahres eingereicht werden.
Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste fördert nicht nur Forschungsprojekte, es dokumentiert darüber hinaus Kulturgutverluste auch in seiner öffentlich zugänglichen Datenbank „Lost Art“ als Such- und Fundmeldungen. Die Ergebnisse der geförderten Forschungsprojekte stellt das Zentrum in seiner Forschungsdatenbank „Proveana“ unter www.proveana.de dar.
Weitere Informationen zu den Fördermöglichkeiten unter: www.kulturgutverluste.de
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