Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste bewilligt in der zweiten Antragsrunde 2022 rund 1,37 Millionen Euro für sieben Projekte im Bereich koloniale Kontexte
Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste vergibt in der zweiten Förderrunde 2022 rund 1,37 Millionen Euro für Provenienzforschungsprojekte im Bereich koloniale Kontexte. Auf Empfehlung seines Förderbeirats hat der Vorstand der Stiftung in Magdeburg in dieser zweiten Antragsrunde insgesamt sieben Forschungsanträgen zugestimmt.
Erstmals ist darunter ein großes Forschungsprojekt zur Archäologie: Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz untersucht Objekte fragwürdiger Herkunft, die im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert aus dem Osmanischen Reich nach Berlin kamen und sich heute in der Antikensammlung, dem Vorderasiatischen Museum und dem Museum für Islamische Kunst befinden. Zwar existierten auch damals schon Gesetze gegen die illegale Ausgrabung und die Ausfuhr von Antiken, dennoch verließen viele Gegenstände unrechtmäßig das Osmanische Reich, indem sie zum Beispiel an offiziellen Fundteilungen vorbei ausgeführt wurden. Anhand von Objekten aus den Grabungsorten Sam'al, Didyma und Samarra (heute Türkei und Irak) erforscht ein türkisch-deutsches Team jetzt exemplarisch, unter welchen Umständen Antiken erworben und ins Deutsche Reich verbracht wurden. Daraus soll ein Leitfaden entwickelt werden, der auch anderen Museen bei der Provenienzforschung an archäologischen Beständen helfen soll.
Die drei weiteren neu geförderten Projekte befassen sich mit den ehemaligen deutschen Kolonialgebieten in Ozeanien. Bei der Forschung am Museum Natur und Mensch in Freiburg steht ein Schiff im Mittelpunkt: Die S.M.S. Cormoran wurde unter anderem für militärische Einsätze und „Strafexpeditionen“ gegen die einheimische Bevölkerung eingesetzt, daneben sammelten Besatzungsmitglieder ethnografische Gegenstände. Das Freiburger Museum beleuchtet am Beispiel der S.M.S. Cormoran koloniales Sammeln in Ozeanien und untersucht Objekte, die aus den Sammlungen des Kapitänleutnants Paul Werber und des Navigationsoffiziers Walter Brandt in den Bestand kamen. Beide waren an sogenannten „Strafexpeditionen“ beteiligt.
„Strafexpeditionen“ spielten nicht nur eine wichtige Rolle bei der Ausübung kolonialer Macht, sondern führten oft auch zu Plünderungen und unrechtmäßiger Mitnahme von Objekten und menschlichen Überresten. Deswegen hat das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste zwei Working Paper zu den „Strafexpeditionen“ der deutschen Kolonialmacht in Afrika und Ozeanien in Auftrag gegeben. Sie sind auf www.perspectivia.net unter 10.25360/01-2022-00001 und 10.25360/01-2022-00056 veröffentlicht.
Das von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden zum 1.1.2015 gegründete Deutsche Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg ist in Deutschland zentraler Ansprechpartner zu Fragen unrechtmäßig entzogenen Kulturguts. Das Zentrum wird von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien institutionell gefördert und erhält von dort auch die Mittel für seine Projektförderung. Das Hauptaugenmerk des Zentrums gilt dem im Nationalsozialismus verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgut, insbesondere aus jüdischem Besitz. Seit Januar 2019, als das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste um einen Fachbereich für koloniale Kontexte erweitert wurde, ist es auch möglich, die Förderung von Projekten zu beantragen, die sich mit Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten befassen. Seitdem wurden insgesamt rund 7,54 Millionen Euro für 59 Projekte in diesem Bereich bewilligt.
Anträge für längerfristige Projekte können jeweils zum 1. Januar und 1. Juni eines Jahres eingereicht werden, kurzfristige Projekte können jederzeit beantragt werden. Antragsberechtigt sind alle Einrichtungen in Deutschland in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft, die Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten sammeln, bewahren oder erforschen. Dazu zählen Museen, Universitäten und andere Forschungseinrichtungen. Seit dem 1.1.2021 können Anträge auch von Einrichtungen gestellt werden, die als gemeinnützig anerkannt sind und ihren Sitz in Deutschland haben.