Deutsches Zentrum Kulturgutverluste bewilligt in der ersten Förderrunde 2023 rund 1,76 Millionen Euro für 17 Projekte der Provenienzforschung im Bereich „NS-Raubgut“
Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste hat in der ersten Förderrunde 2023 insgesamt rund 1,76 Millionen Euro für Provenienzforschung im Bereich NS-Raubgut bewilligt. Damit erhalten 16 Forschungsprojekte an Museen, Bibliotheken und wissenschaftlichen Einrichtungen sowie eine private Antragstellerin finanzielle Unterstützung, um z.B. ihre Sammlungen auf NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut hin zu untersuchen. Die Entscheidung über die Förderung trifft der Vorstand des Zentrums auf Empfehlung seines Förderbeirats.
Gefördert wird zum Beispiel das Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Philipps-Universität Marburg, das einen Bestand von Werken unklarer Herkunft hat, darunter Gemälde von Alexej von Jawlensky, Paul Klee, Lovis Corinth, Gustave Courbet und Carl Spitzweg. Zunächst sollen 150 Bilder aus der Sammlung erforscht werden. In den Bestand kamen die Werke während der NS-Zeit teilweise über Akteure des Kunsthandels, die unter Provenienzforscher:innen als „Red Flag Names“ gelten – also als besonders verdächtig, mit NS-Raubkunst gehandelt zu haben.
Auch die Stiftung Topographie des Terrors in Berlin bekommt Mittel für die Provenienzrecherche. Dort soll die Bibliothek des Dokumentationszentrums auf NS-Raubgut hin untersucht werden. Die Bibliothek wurde erst ab Ende der 1980er Jahre aufgebaut und enthält u.a. etwa 8000 bis 1945 erschienene Bände, die meist durch Tausch, Schenkung oder antiquarischen Ankauf in den Bestand gekommen sind. Erste Verdachtsmomente – zum Beispiel ein Stempel, der auf Beschlagnahme durch die Gestapo verweist – sind bereits identifiziert worden. Außerdem gibt es in der Bibliothek einen besonders verdächtigen Bestand: Es handelt sich um einen Teil der Sammlung von Alexander Dolezalek (1914-1999), der während der NS-Zeit als „Volkstumsspezialist“ u.a. für das Reichssicherheitshauptamt, das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS und das SS-Hauptamt gearbeitet hatte und mit der Ausarbeitung des „Generalplan Ost“ sowie eines Entwurfs für ein zukünftiges Europa nach Vorstellungen der Nationalsozialisten betraut war.
Mit der Oberlausitzischen Bibliothek der Wissenschaften Görlitz ist eine weitere Bibliothek unter den neuen Projekten dieser Förderrunde. Sie betreut die Buchbestände der ehemaligen Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften, einer Gelehrtenvereinigung, die seit der Aufklärung bis 1945 existierte. Fast 7000 Zugangsnummern sollen jetzt untersucht werden. Dazu kommt die systematische Erforschung des Bestands der pietistischen „Engelsbrüder“, der von der Gestapo beschlagnahmt und 1943 der Stadt Görlitz übergeben worden war.
Bund und Länder haben seit 2008 die Provenienzforschung im Bereich NS-Raubgut mit insgesamt rund 48,8 Millionen Euro gefördert, mit denen bislang 433 Projekte realisiert werden konnten. Das von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden zum 01.01.2015 gegründete Deutsche Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg ist in Deutschland zentraler Ansprechpartner zu Fragen unrechtmäßig entzogenen Kulturguts. Das Zentrum wird von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien institutionell gefördert und erhält von dort auch die Mittel für seine Projektförderung. Anträge für längerfristige Projekte können jeweils bis zum 1. Januar und 1. Juni eines Jahres eingereicht werden.
Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste fördert nicht nur Forschungsprojekte, es dokumentiert darüber hinaus Kulturgutverluste auch in seiner öffentlich zugänglichen Datenbank „Lost Art“ (www.lostart.de) als Such- und Fundmeldungen. Die Ergebnisse der geförderten Forschungsprojekte stellt das Zentrum in seiner Forschungsdatenbank „Proveana“ unter www.proveana.de dar.
Die Förderung der Provenienzforschung im Bereich NS-Raubgut soll dem Erreichen von gerechten und fairen Lösungen gemäß den „Washingtoner Prinzipien“ dienen, zu deren Umsetzung sich Deutschland im Sinne seiner historischen und moralischen Selbstverpflichtung bekannt hat.