Fazit der Fachkonferenz „20 Jahre Washingtoner Prinzipien: Wege in die Zukunft“
Eine internationale Tagung vom 26. bis 28. November 2018 in Berlin widmet sich der Umsetzung derWashingtoner Prinzipien zum Umgang mit NS-Raubgut seit deren Verabschiedung 1998. Die rund 800 Teilnehmer, darunter weltweit führende Fachleute, Organisationen, Überlebende des Holocaust und deren Nachfahren, evaluieren die Umsetzung der Prinzipien, die eine zentrale Rolle für die Rückgabe von NS-Raubgut weltweit spielen. Der Fokus der vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste gemeinsam mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und der Kulturstiftung der Länder ausgerichteten und von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien geförderten Konferenz liegt aber auf dem Blick in die Zukunft, der Weiterentwicklung und Verbesserung.
„Provenienzforschung ist ein wichtiger Teil unserer historischen Verantwortung und sollte selbstverständlicher Teil der Sammlungs- und Vermittlungsarbeit in Museen, Bibliotheken und Archiven sein. Damit werden die Einrichtungen ihrer Verpflichtung gerecht, die Aufarbeitung des NS-Unrechts auch an die folgenden Generationen weiterzugeben“, ist Gilbert Lupfer überzeugt. Er ist wissenschaftlicher Vorstand des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste, dem Hauptveranstalter der Konferenz.
Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, betont, dass trotz der Vielzahl der Fälle, die in den vergangenen 20 Jahren bearbeitet wurde, jeder einen individuellen Hintergrund hat: „Wir haben einerseits die Aufgabe, unsere Sammlungen systematisch zu prüfen. Gleichzeitig haben wir die Verpflichtung, uns jeden einzelnen Fall genau anzusehen. Und wir lernen aus jedem dieser Fälle: über unsere Geschichte – und dadurch eröffnen sich auch neue Ansätze für die Forschung. Aber vor allem lernen wir über die Schicksale der Entrechteten in der Zeit des Nazi-Terrors und über die Leben ihrer Nachfahren. Durch jedes Gespräch wächst auch bei uns das Verständnis für diese Familienschicksale weiter.“
Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder, unterstreicht : „Zur Aufarbeitung und Anerkennung des Unrechts, das jüdischen Bürgerinnen und Bürgern durch den gewaltsamen Entzug von Kulturgütern während der nationalsozialistischen Diktatur entstanden ist, bedarf es der Herstellung von Transparenz in Bezug auf die Sammlungsbestände einschließlich ihrer vollständigen Digitalisierung und umfassender und sorgfältiger Provenienzrecherchen. Dazu gehört ein Dialog auf Augenhöhe mit den Nachkommen der Geschädigten und die Bereitschaft, unrechtmäßig entzogene Kulturgüter zu restituieren.“
Im Ergebnis der Konferenz wird das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste die Suche nach den einstigen Eigentümern oder deren Erben zukünftig finanziell unterstützen. Um Nachfahren die Suche nach verlorenen Kulturgütern zu erleichtern, sollen sie kompetent beraten und begleitet werden. Die Forschungsdatenbank des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste wird einen Beitrag zu der geforderten besseren Dokumentation von Forschungsergebnissen leisten. Sie hilft auch bei der Vereinheitlichung der Terminologie (z.B. „NS-Raubgut“) und der internationalen Vernetzung der Provenienzforschung.
Zusätzliche Anstrengungen, die auf der Tagung gefordert wurden, sind zur Schaffung von mehr dauerhaften Stellen in kulturgutbewahrenden Einrichtungen erforderlich. Nur so kann die Nachhaltigkeit der Provenienzforschung in Museen, Bibliotheken und Archiven gewährleistet werden. Öffentliche Einrichtungen sollen durch die vollständige Digitalisierung aller Sammlungsbestände die Transparenz und Zugänglichkeit verbessern. Alle Einrichtungen sind darüber hinaus aufgefordert, die Ergebnisse der Provenienzforschung in der Vermittlungsarbeit von Museen, Bibliotheken und Archiven zu integrieren.
Am 28. November, genau 5 Tage vor dem Jahrestag der Verabschiedung der Washingtoner Prinzipien 1998, wird die Fachkonferenz „20 Jahre Washingtoner Prinzipien: Wege in die Zukunft“ mit ca. 900 Teilnehmern im Haus der Kulturen in Berlin zu Ende gehen.
Die gesamte Tagung wird demnächst in Form einer Videodokumentation auf der Website des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste online gestellt. Ausgewählte Interviews mit Teilnehmern sind auf der Website der Stiftung Preußischer Kulturbesitz verfügbar.
Anlage: Ergebnisse der Konferenz „20 Jahre Washingtoner Prinzipien: Wege in die Zukunft“
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Anlage:
Ergebnisse der internationalen Fachkonferenz „20 Jahre Washingtoner Prinzipien: Wege in die Zukunft“ vom 26.11.2018 bis zum 28.11.2018 in Berlin
Seit der Verabschiedung der „Washingtoner Prinzipien“ von 1998 haben zahlreiche Staaten eine Vielzahl unterschiedlicher Maßnahmen zur Auffindung und Rückgabe von NS-Raubgut erfolgreich realisiert. Aufgrund der hohen Komplexität und Dynamik des Themengebiets und im Ergebnis der Diskussionen anlässlich der Konferenz „20 Jahre Washingtoner Prinzipien: Wege in die Zukunft“ bleibt gleichwohl noch Vieles zu tun. Im Einzelnen:
1. Was wurde bereits geleistet?
Betrachtet man beispielsweise die deutschen Aktivitäten, gehörten zu den Maßnahmen insbesondere die bereits ein Jahr nach den Washingtoner Prinzipien verabschiedete „Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz“ zur Umsetzung der Washingtoner Prinzipien in Deutschland, die Online-Schaltung der Lost Art – Datenbank (2000) und die Schaffung der „Handreichung“ (2001). Zudem ist – im Hinblick auf strukturelle Optimierungen – auf die Erweiterung des Mandats der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste (2002), die Einrichtung der „Beratenden Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter, insbesondere aus jüdischem Besitz“ (2003), der Arbeitsstelle für Provenienzforschung (2008), der „Task Force Schwabinger Kunstfund“ in der Folge des „Falles Gurlitt“ (2013) sowie des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste (2015) hinzuweisen.
Zur Arbeit des Zentrums kann insbesondere Folgendes festgehalten werden kann:
- Im Rahmen der finanziellen Förderung von Projekten zur Provenienzforschung von 2008 bis Frühjahr 2018 konnten insgesamt 273 Projekte mit Mitteln in Höhe von rund 24,5 Mio. Euro gefördert werden. In diesen wurden mehr als 113.000 museale Kulturgüter und über 785.000 Bücher und historische Drucke überprüft. Zahlreiche Museen, Bibliotheken und Archive betreiben darüber hinaus auch ohne Förderung des Zentrums Provenienzrecherche in ihren Beständen.
- Seit 2015 fördert das Zentrum auch private Antragsteller.
- Die Lost Art-Datenbank verzeichnet momentan ca. 169.000 detailliert beschriebene und mehrere Millionen summarisch erfasste Objekte in Form von Such- und Fundmeldungen von mehr als 1.950 in- und ausländischen Einrichtungen und Personen. Dabei wird auch sog. „Fluchtgut“ als NS-Raubgut aufgenommen.
- Das Zentrum arbeitet an einer Forschungsdatenbank, in der alle relevanten Informationen (bspw. aus den geförderten Projekten oder dem Schwabinger Kunstfund) zentral verfügbar und recherchierbar gemacht werden, die darüber hinaus aber auch mit anderen Datenbanken verknüpfbar sein wird.
- Ab 2019 wird das Zentrum auch die Möglichkeit der Erbensuche finanziell unterstützen.
- Zudem wird es einen „Help Desk“ als erste Anlaufstelle für Betroffene bei Restitutionsverfahren einrichten.
2. Was ist noch zu tun?
Im Rahmen der Konferenz „20 Jahre Washingtoner Prinzipien: Wege in die Zukunft“ wurden folgende Handlungsfelder und Vorschläge diskutiert:
Museen, Bibliotheken und Archive
- Die Träger von Museen, Bibliotheken und Archiven sollten noch intensiver die ihnen obliegende Verantwortung zur weiteren und kontinuierlichen Umsetzung der „Gemeinsamen Erklärung“ wahrnehmen.
- Zur langfristigen Sicherung der Provenienzforschung sollten die Träger der kulturgutbewahrenden Einrichtungen dauerhaft Stellen schaffen.
Digitalisierung / Transparenz
- Kulturgutbewahrende Einrichtungen sollten ihren Gesamtbestand so weit wie möglich digital erfassen und zur Herstellung von Transparenz über allgemein zugängliche Datenbanken sowie über die jeweilige Website der Institution verfügbar machen.
Verfahrensbegleitung
- Potentielle Anspruchsteller sollten kompetente Beratung und Begleitung von der Anmeldung eines Anspruchs bis zum Erreichen einer fairen und gerechten Lösung erfahren.
- Die Institutionen sollten bei der Suche nach berechtigten Eigentümern oder deren Erben Unterstützung erhalten
Terminologie und Vernetzung
- Eine einheitliche Terminologie (bspw. „NS-Raubgut“) sollte angestrebt werden.
- Die Vernetzung der mit Provenienzforschung und Restitutionen befassten Einrichtungen einschließlich deren Datenbanken in den einzelnen Staaten sollte weiter entwickelt werden.
- Best practice–Beispiele sollten national und international zusammengeführt und kommuniziert werden.
Faire und gerechte Lösungen
- Auch für Objekte mit nicht schließbaren Provenienzlücken können faire und gerechte Lösungen im Sinne der Washingtoner Prinzipien gefunden werden.
- Eine geeignete Übersichtsstatistik aller Maßnahmen zur Identifizierung von NS-Raubkunst und dem Herbeiführen fairer und gerechter Lösungen sollte entwickelt und regelmäßig veröffentlicht werden.
- Eindeutig identifizierte, aber nicht beanspruchtes NS-Raubgut, insbesondere aus jüdischem Besitz, sollte nicht in öffentlichem oder privatem Eigentum verbleiben. Ihrer besonderen Rolle in der Geschichte des Holocaust sollte Rechnung getragen werden.
Streitschlichtung
- Vorhandene Mediationsgremien mit dem Ziel des zügigen Findens fairer und gerechter Lösungen sollten gemäß den weiteren Entwicklungen kontinuierlich angepasst werden.
Wissensvermittlung
- Der wissenschaftliche Nachwuchs im Bereich der Provenienzforschung sollte noch intensiver und gezielter gefördert werden.
- Der NS-Kunst- und Kulturgutraub soll weiter und verstärkt erforscht, dokumentiert und die Erkenntnisse breit kommuniziert werden, um die Vermittlung des Wissens an die nächste Generation zu gewährleisten.
- Museen und andere kulturgutbewahrende Einrichtungen sollten noch stärker die Thematik des NS-Kulturgutraubs in ihre Ausstellungen und Vermittlungsprogramme integrieren.
Private
- Der moralische Verpflichtungsgehalt der Washingtoner Prinzipien sollte auch von Privaten und insbesondere dem Kunsthandel als zentrale Schnittstelle des Handels auch mit möglichem NS-Raubgut angenommen werden.
Gesetzgeber
- Es sollte geprüft werden, ob und ggf. wie das Anliegen der Washingtoner Prinzipien durch geeignete gesetzgeberische Maßnahmen zusätzlich abgesichert werden kann.
Fortschritte
- Die Fortschritte zur Umsetzung der Washingtoner Prinzipien sollen auch weiterhin in regelmäßigen Abständen im Rahmen von internationalen Konferenzen überprüft werden.