Rund 4 Mio. Euro für Forschung zu NS-Raubgut
Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste hat im Jahr 2024 für Provenienzforschung im Bereich „NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut“ in zwei Antragsrunden insgesamt rund 4 Millionen Euro an Fördergeldern bewilligt. Damit unterstützt die Stiftung 34 Forschungsvorhaben. Die Provenienzforscher:innen in den geförderten Projekten untersuchen Bestände von öffentlichen Museen oder Bibliotheken ebenso wie von privaten Einrichtungen auf NS-Raubgut. Sie rekonstruieren außerdem die Biografien jüdischer Sammler:innen, aber auch die Rolle jener Akteur:innen im NS-Staat, die von der Enteignung und Entrechtung jüdischer Bürger:innen profitierten – zum Teil weit über das Kriegsende hinaus.
So arbeitet die Stadt Bad Oeynhausen die Geschichte ihres Märchen- und Wesersagen-museums und des Museumsgründers Karl Paetow (1903-1992) auf, der das Haus bis 1981 leitete. Erst in jüngster Zeit sind die Verstrickungen Paetows im Nationalsozialismus und seine Tätigkeit für den Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR) öffentlich geworden. Für diese Kunstraub-Organisation der Nazis in den besetzten Gebieten war der studierte Kunsthistoriker während des Zweiten Weltkriegs aktiv und arbeitete unter anderem für den „Sonderstab Volkskunde“. Nun soll Paetows Sammlung, einer der Bestände des heutigen Museums, unter die Lupe genommen werden. Grundlage dafür ist Karl Paetows umfangreicher Nachlass, der Informationen über seine Tätigkeiten für den ERR, seine Erwerbungen während des Krieges und seine Netzwerke liefert. Die Auswertung soll helfen, geraubte Objekte zu identifizieren und zu restituieren.
Umfangreiches Quellenmaterial hat auch das Museum Ulm zu bearbeiten, nämlich die vollständig erhaltene Korrespondenz des Museums aus den Jahren 1933 bis 1945. Die Ulmer Museumsleiter diskutieren auf den rund 32.000 Briefseiten mit Sammlern und Kunsthändlern wie Adolf Weinmüller, Julius Böhler und Siegfried Lämmle, mit anderen Museen oder mit NS-Institutionen über die Erwerbskonditionen von Kunstwerken. Dabei wird offenkundig, wie die Direktoren Preise von jüdischen Händlern drückten: „Ich finde sogar den Preis von 1200 RM noch reichlich hoch; ... Ich glaube auch die Zeit abwarten zu können, bis es uns um den Preis von ca. 500 RM angeboten wird“, schreibt etwa Museumsleiter Adolf Häberle an Hugo Helbing im Jahr 1935. Zwar wurden letztendlich nur wenige Werke von Ulm angekauft, vieles gelangte aber in andere öffentliche Sammlungen. Die Informationen sind deshalb auch für die Recherchen anderer Museen wichtig. Das Material soll digitalisiert und über eine Datenbank für die Forschung zugänglich gemacht werden.
Die Opfer des NS-Regimes stehen im Mittelpunkt eines Projekts des Museums der bildenden Künste Leipzig (MdbK). Dort will man die Kunstsammlungen von Bürger:innen der Stadt untersuchen, die im Nationalsozialismus als Juden verfolgt wurden. Erforscht werden ihre Biografien, aber auch die Schicksale ihrer Sammlungen, die im Zuge der Verfolgung auseinandergerissen und oft in alle Winde zerstreut wurden. Ziel ist es, die Geschichte der heute vielfach vergessenen Kunstsammler:innen wieder im Gedächtnis der Stadt Leipzig zu verankern. Die Ergebnisse sollen 2026 in einer großen Sonderausstellung präsentiert werden.
Parallel dazu setzt sich die Leipziger Stadtbibliothek mit ihrem Bestand auseinander, der einige Verdachtsmomente auf NS-Raubgut aufweist. Schwerpunkt ist der Zuwachs von 40.000 Bänden zwischen 1944 und 1951, als für den Wiederaufbau nach der Kriegszerstörung Bücher unter anderem antiquarisch erworben wurden oder durch Schenkungen, über die Reichstauschstelle und mutmaßlich aus den Beständen der SS in die Bibliothek kamen. In späteren Jahren wurde ein Teil davon wieder abgegeben – wohin die möglicherweise geraubten Bücher gelangten, will man auch in Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen herausfinden.
Bund und Länder haben seit 2008 die Provenienzforschung im Bereich NS-Raubgut mit insgesamt rund 55,16 Millionen Euro gefördert, mit denen bislang 468 Projekte realisiert werden konnten. Das von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden zum 01.01.2015 gegründete Deutsche Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg ist in Deutschland zentraler Ansprechpartner zu Fragen unrechtmäßig entzogenen Kulturguts. Das Zentrum wird von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien institutionell gefördert und erhält von dort auch die Mittel für seine Projektförderung.
Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste fördert nicht nur Forschungsprojekte, die der Herbeiführung gerechter und fairer Lösungen dienen sollen, es dokumentiert darüber hinaus Kulturgutverluste auch in seiner öffentlich zugänglichen Datenbank „Lost Art“ als Such- und Fundmeldungen. Die Ergebnisse der geförderten Forschungsprojekte stellt das Zentrum in seiner Forschungsdatenbank „Proveana“ unter www.proveana.de dar.
Weitere Informationen zu den Fördermöglichkeiten unter: kulturgutverluste.de