Die Erwerbungen der Liebieghaus Skulpturensammlung seit 1933: Erschließung der Provenienzen und Identifizierung von „NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut“

Förderbereich:
NS-Raubgut
Zuwendungs­empfänger:
Liebieghaus Skulpturensammlung
Bundesland:
Hessen
Ansprechpartner:
Iris Schmeisser

E-Mail provenienzforschung@liebieghaus.de

Projekttyp:
Langfristig
Projektlaufzeit:
bis
Beschreibung:

Die städtische Skulpturensammlung im Liebieghaus, Frankfurt am Main

Die 1907 gegründete Städtische Skulpturensammlung verfügt heute über einen Bestand von ca. 2.800 Werken. Das Konzept dieser Sammlung, die Skulpturen Ostasiens, Ägyptens, der Antike, des Mittelalters und der Neuzeit bis zum 19. Jahrhundert auf einzigartige Weise vereint, geht auf den damaligen Direktor des Städelschen Kunstinstituts und Gründungsdirektor der Städtischen Galerie, Georg Swarzenski (18761957) zurück. Der größte Teil der Liebieghaus-Bestände wurde in den frühen Jahren der Institution, d.h. in den 1910er und 20er Jahren, in die Sammlung aufgenommen und ist geprägt durch die Persönlichkeit Swarzenskis, seine Sammlungsstrategien sowie seine Beziehung zu privaten Mäzenen. Über 80% des heutigen Liebieghaus-Bestands gingen bereits vor 1933 in die Sammlung ein. Swarzenski, dessen Fachgebiet die mittelalterliche Kunst war, wurde im April 1933 aus seinem Amt als Generaldirektor der Städtischen Museen aufgrund seiner „jüdischen Abstammung entlassen.

Mehr als zwei Drittel der in den Jahren 19331945 unter der Direktion von Swarzenskis Nachfolger Alfred Wolters (18841973) durch die Stadt Frankfurt erworbenen Objekte circa 470 an der Zahl stammten aus verfolgungsbedingt zustande gekommenen Veräußerungen jüdischer Privatsammlungen. Der Sammlungsschwerpunkt lag in diesen Jahren auf der „alten deutschen Kunst. Bereits 1936 wurde durch den Oberbürgermeister Friedrich Krebs (18941961) ein Etat für die städtischen Museen bereitgestellt, um den Ankauf von Kunstwerken aus jüdischem Besitz zu ermöglichen.

Hinzukommen zwischen 1940 und 1942 vierzehn Skulptur-Erwerbungen, die in den besetzten Gebieten, d.h. in Frankreich und Holland, im Auftrag der Stadt Frankfurt von Ernst Holzinger (19011972), dem Direktor des Städel Museums, für das Liebieghaus getätigt wurden.

Sowohl Wolters als auch Holzinger waren während der NS-Zeit als Sachverständige für Kunstwerke aus jüdischem Besitz tätig: Ab 1939 wurde Wolters im Auftrag der Devisenstelle offizieller Sachverständiger für die Bestimmung national wertvollen Kulturguts. Holzinger fungierte im Auftrag der Reichskulturkammer als Sachverständiger für die „Sicherung und Verwertung von deutschem Kulturgut aus jüdischem Besitz.

Nach 1945 blieb Wolters ebenso wie sein Kollege Holzinger im Amt. Heute befinden sich von den Erwerbungen der Jahre 19331945 noch 153 Objekte im Bestand des Liebieghauses, da die restlichen Stücke unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg im Zuge der alliierten Rückerstattungsgesetzgebung restituiert wurden.

Seit der Nachkriegszeit bis heute kamen etwa 200 weitere Objekte zum Bestand des Liebieghauses hinzu, die nach 1933 erworben wurden.

Das Projekt

Die Herkunft und Geschichte dieser insgesamt mehr als 350 Werke sollte im Rahmen eines dreijährigen Forschungsprojekts systematisch erschlossen werden, mit dem Ziel möglicherweise oder eindeutig belastete Objekte identifizieren zu können. Ein besonderes Anliegen war darüber hinaus die Aufarbeitung der Geschichte der Institution und deren Ankaufspolitik in den Jahren 19331945 sowie der kulturpolitische Kontext der unmittelbaren Nachkriegszeit und der in diesen Jahren erfolgten Rückerstattungen. Diese historische Aufarbeitung der NS- und Nachkriegszeit sollte insbesondere auch die Beziehungen zu jüdischen Privatsammlern thematisieren, die in der bisherigen Forschung zur Sammlungsgeschichte des Liebieghauses nur sehr wenig Berücksichtigung fanden.

Die aus dem Projekt heraus entwickelte Sonderausstellung „Eindeutig bis zweifelhaft: Skulpturen und ihre Geschichten. Erworben 19331945 ermöglichte einen Einblick in die Ergebnisse der Provenienz- und Kontextforschung. Sie wurden mittels eines Parcours durch die drei Hauptabteilungen der Skulpturensammlung Antike, Mittelalter und Renaissance bis Klassizismus präsentiert. Die Ausstellung thematisierte die Herkunft von insgesamt zwölf Skulpturen, die nach 1933 in die Sammlung des Liebieghauses gelangten. Im Fokus standen die während der NS-Zeit getätigten Erwerbungen und die mit diesen Erwerbungen verknüpften Geschichten: Zum einen ging es um die Biografien der Menschen, die die Skulpturen einmal besaßen, zum anderen um die Handlungsweisen und Motive der verantwortlichen Direktoren und Sammlungsleiter, welche die Erwerbungen tätigten. Ausgewählt wurden sowohl rechtmäßige als auch unrechtmäßige Erwerbungen. Der Schwerpunkt lag jedoch auf Provenienzen, die jüdische Besitzer betreffen: Carl von Weinberg, Harry Fuld, Agathe und Ernst Saulmann, Julius Heyman, Max von Goldschmidt-Rothschild, Emma Budge, Rosmarie Sommerlat und Oswald und Alice Feis. Lücken in der Provenienz und offene Fragen wurden in der Ausstellung bewusst als solche thematisiert.

Publiziert wurden u.a. ein Ausstellungskatalog mit Chronologie in deutscher Sprache, eine Ausstellungsbroschüre in englischer Sprache sowie ein die Inhalte der Ausstellung vertiefender Onepager, ein sogenanntes Digitorial1, das sowohl in deutscher als auch englischer Sprache verfügbar ist. Verschiedene Blog-Einträge zu ausgewählten Themen des Projekts sind auf der Webseite des Liebieghauses unter der Rubrik Forschung & Journal veröffentlicht. Hier werden auch die Provenienzen aller im Rahmen des Projekts untersuchten Objekte online zugänglich gemacht.

(c) Liebieghaus Skulpturensammlung

Ausstellungen:
Eindeutig bis Zweifelhaft. Skulpturen und ihre Geschichten Erworben 1933 - 1945