"Ich habe von allem, was mir Berlin an Wissenschaft und Kunst bot, reichlich Gebrauch gemacht." Die Personalie Walter Neuling (1894–1973)
Dr. Jutta Götzmann
PositionDirektorin des Potsdam-Museums
Tel.+49 (0) 331 28 96 821
E-Mailjutta.goetzmann@rathaus.potsdam.de
Ausgangspunkt
Während der AfP-Förderung (6/2011 bis 5/2014) wurden etliche Bücher in der Sammlung des Potsdam-Museums eindeutig als Raubgut identifiziert und der Lost Art-Datenbank gemeldet. In der ersten Jahreshälfte 2013 fand sich außerdem beim Hausaktenstudium unerwartet eine 116-seitige Liste, auf der einige dieser Raubgut-Bücher namentlich erschienen.
Die Liste war Bestandteil einer Strafsache aus dem Jahr 1961, in der es um den verdeckten Kunstbesitz des seit 1956 ‚republikflüchtigen Walter Neuling ging. Schon damals war einer einer Expertenkommission (bestehend aus Potsdamer Museologen und Prähistorikern) aufgefallen, dass sich ein Teil des Neulingschen Besitzes aus Raubgut der NS-Zeit zusammensetzte. „So konnten u.a. Steinbeile und Bronzen als aus der SU [Sowjetunion] entwendet festgestellt werden. Eine Reihe von anderen Bronzen sind mit dem Vermerk ‚Sammlung Böhmen und ‚Sammlung Prag gekennzeichnet, lesen wir im damaligen Gutachten. „Während der R-flüchtige Neuling in Prag tätig war, hat er sich wahrscheinlich die angeführten Bronzen angeeignet. Hinsichtlich der Herkunft wurde 1961 nur das frühgeschichtliche Fundmaterial erforscht. Eine Provenienzrecherche gerade für die dem Potsdam-Museum verbliebenen Stücke war bislang nicht angestrengt worden.
Ergebnisse
Von den bis zum August 2016 elektronisch erfassten 4.300 Buch-, Konvolut- und Objekteinträgen konnten innerhalb zweier Jahre nach Auswertung der 1961er Übernahmelisten, Inventare und Findhilfsmittel, historischen Fotos, historischen Akten und Korrespondenzen lediglich 531 (+ 3 bereits restituierte Stücke) identifiziert werden
Dies entspricht etwa einem Achtel des wünschenswert gewesenen Umfangs. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Identifizierung im hinsichtlich der „Provenienz Neuling fast vollständig unmarkierten Gesamt-Sammlungsbestand des Potsdam-Museums erfolgen musste, also durchweg autoptisch: durch Inaugenscheinnahme und Prüfung der einzelnen Stücke.
Einzige Ausnahme bildeten dabei 67 (allerdings raubgutunverdächtige) Abzeichen/Plaketten, 8 Schnapsgläser sowie zwei Plastiken: 1. das Relief „Orpheus, Eurydike und Hermes (Lost Art-ID 529968) und 2. die Figur „Venus oder Nymphe nach dem Bade (Lost Art-ID 529967), die mit dem Zusatz „[aus] Salzwedel in der Objektdokumentation erschienen.
Alle weiteren Objekte konnten nicht anhand der üblichen Findhilfsmittel, sondern mussten anhand systematischen Abarbeitens ganzer Regale vom ersten bis zum letzten eingestellten Objekt mit den 1961er Übernahmelisten und mittels sechs historischer Schwarzweiß-Fotos verglichen werden.
Neben dem Lebens- und Karriereweg Neulings bis dato völlig unbekannt konnten durch Analyse seiner Privatkorrespondenz aus der Zeit sowohl vor als auch nach 1945 einige Kontakte und Quellen ermittelt werden, aus denen ihm zwischen 1933 und 1945 Kulturgüter zugefallen waren. Eine unbekümmerte Bereicherung an enteignetem jüdischen Gut z.B. aufgrund der Aussagen Bruno Dorfmanns liegt zwar nahe doch bis auf solche allgemeinen Aussagen, die den gesamten Neuling-Besitz verdächtig machen, konnte auf ein bestimmtes Objekt bezogen innerhalb der zwei geförderten Projektjahre noch kein klarer Enteignungsvorgang nachgewiesen werden.
Auch konnte durch vorliegende Akten nicht nachvollzogen werden, wie die Kommission 1961 zu der Aussage kam, dass einige Stücke aus der „SU gestohlen seien. Hinweise auf die im Kommissionsgutachten erwähnte Neulingsche „Sammlung Böhmen und „Sammlung Prag waren ebenfalls nicht mehr greifbar.
An dem im Potsdam-Museum noch vorliegenden Neulingschen Sammlungsgut wirken zumindest die umfangreichen Tilgungen in Büchern verdächtig: radiert, herausgeschnitten auch aus Rara oder mitten aus einem sonst völlig intakten Buchblock teilweise sind ganze Titelblätter entfernt worden.
Dagegen sind die vier Bücher aus der Veitel Heine Ephraimschen Lehranstalt unbeschädigt: Drei von ihnen wurden bereits, und ein vierter Band wird noch an die Potsdamer Universitätsbibliothek abgegeben, wo sich heute der Kernbestand des einst Berliner Beth ha-Midrashs befindet und diese vier Bände zusammen mit den übrigen, wenn auch nicht restituierbar, so doch immerhin wieder ihren historischen Zusammenhang bilden.
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