NS-Raubgut in der Bibliothek Albert-Einstein der Hochschule für Jüdische Studien – Die Provenienzen im Nachlass des Rabbiners Emil Davidovic

Förderbereich:
NS-Raubgut
Zuwendungs­empfänger:
Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg
Bundesland:
Baden-Württemberg
Ansprechpartner:
Rabbinerin Prof. Dr. Birgit Klein

PositionProjektverantwortliche

E-Mailbirgit.klein@hfjs.eu

Philipp Zschommler, M.A.

PositionProjektmitarbeiter

E-Mailphilipp.zschommler@hfjs.eu

Projekttyp:
langfristig
Projektlaufzeit:
bis
Beschreibung:

Ausgangslage und Zielsetzung des Projekts

Die Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg (HfJS), gegründet im Jahr 1979, erwarb von Anfang an für ihre Bibliothek neben Neuerscheinungen eine Vielzahl von Büchern, die vor 1945 erschienen waren - teils antiquarisch, überwiegend indes aus Nachlässen und Schenkungen von Privatbibliotheken, die die Hochschule dankbar entgegennahm. Dabei fand die Tatsache wenig Beachtung, dass sich in hunderten dieser Bücher Besitzvermerke verschiedenster Personen und Institutionen befinden. Da es sich fast ausnahmslos um Judaica und Hebraica handelt, ist es nicht verwunderlich, dass darin als ursprüngliche Besitzer Jüdinnen und Juden sowie jüdische Institutionen vermerkt sind. Somit besitzt die Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg einen beträchtlichen Bestand an Büchern deren Eigentümer sie nicht ist.

Im laufenden Projekt wird ein Teilbestand der Hochschulbibliothek einer intensiven Provenienzrecherche unterzogen. Es handelt sich hierbei um den Nachlass des Rabbiners Emil Davidovic, der bis zu seinem Tod 1986 Landesrabbiner von Westfalen gewesen war. 1988 erwarb die HfJS seinen Nachlass, darunter etwa 1.900 Bücher aus der Zeit vor 1945, überwiegend mit Besitzvermerken. Diese hatte der Auschwitzüberlebende Davidovic, der nach seiner Befreiung zunächst in Prag als Rabbiner tätig gewesen war, dort besonders günstig antiquarisch sowie über noch nicht eindeutig geklärte Quellen erwerben können.

Das Projekt der HfJS verzeichnet die Provenienzhinweise im Nachlass Davidovic im elektronischen Bibliothekskatalog „koha, recherchiert zu den beraubten Personen/Institutionen, macht nach Möglichkeit die Erbberechtigten ausfindig und restituiert - falls möglich - die Bücher. Die Ergebnisse der Recherche werden in der kooperativen Datenbank „Looted Cultural Assets veröffentlicht (www.lootedculturalassets.de) und dort laufend durch die teilnehmenden Institutionen auf den aktuellen Stand gebracht.

Untersuchungsschwerpunkte

Die Herkunft der bisher untersuchten Bücher, fast ausschließlich Judaica und Hebraica, lässt sich grob in drei regionale Bereiche unterteilen:

1) Der weitaus größte Anteil (ca. 90%) der Bücher stammt aus Böhmen. Dies belegen die zahlreich vorhandenen Stempel und Exlibris. Darunter befinden sich Bücher aus von den Nationalsozialisten aufgelösten Klöstern, aus jüdischen Vereinen (z.B. der jüdische Studentenbund „Bar Kochba) und Institutionen (Gemeindebibliotheken) sowie von Privatpersonen. Die meisten der Privatpersonen sind relativ gut zu identifizieren, da sie zum großen Teil in der Öffentlichkeit wirkten Rabbiner, Lehrer, Professoren, Museumsangestellte oder Bibliothekare. Auffällig ist die Häufung von Büchern ehemaliger Mitarbeiter des Jüdischen Museums Prag, die auch in dem unter der Aufsicht der deutschen Besatzer als „Jüdisches Zentralmuseum weitergeführten Haus tätig waren. Das Museum war schon seit seiner Gründung im Jahr 1906 ein Sammelpunkt für Kultgegenstände und Bücher aus den aussterbenden böhmischen Landgemeinden. Während der Zeit des Protektorats beförderten die Nationalsozialisten diesen Anspruch: Das Rauben und Sammeln der Bücher stand nun unter dem Aspekt der sogenannten Gegnerforschung. In den im KZ Theresienstadt eingerichteten Bibliotheken katalogisierten jüdische Fachleute die waggonweise eintreffenden Bücher. Diese stammten sowohl von liquidierten jüdischen Gemeinden und anderen Institutionen, von den Neuankömmlingen im KZ als auch von denjenigen Deportierten, die in den „Vernichtungslagern ermordet worden waren. Nach Kriegsende wurden die meisten Bücher aus dem KZ Theresienstadt nach Prag geschafft. Das betrifft auch Bestände, die die Nationalsozialisten zum Schutz vor alliierten Luftangriffen im Reichsgebiet in diversen böhmischen Schlössern zwischenzulagern versuchten.

Nach unserer derzeitigen Einschätzung stammt der größte Teil des in diesem Projekt zu untersuchenden Nachlasses aus eben diesem Fundus aus Prag. Zahlreiche Indizien sprechen für diese Vermutung. Im weiteren Verlauf des Projekts soll dieser Thematik nachgegangen werden. Wir erwarten, dass sich anhand der zahlreichen Provenienzhinweise einige Wege des nationalsozialistischen Bücherraubes in Böhmen nachzeichnen lassen. Hierzu stehen wir in stetigem Kontakt mit der Bibliothek des Jüdischen Museums Prag.

2) Einige Dutzend Bücher im Nachlass des Rabbiners Davidovic stammen aus der Bibliothek der Berliner Hochschule/Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums, die 1942 zwangsaufgelöst wurde. Neben den Stempeln finden sich in den Büchern Signaturen, Inventarnummern sowie Widmungen von Gönnerinnen und Gönnern, bzw. Autoren. Die Stempel „Ghetto-Bücherei und „Zentralbücherei Theresienstadt Volkslesehalle in einigen Exemplaren liefern Hinweise auf die noch nicht restlos geklärten Umstände, was mit den Büchern nach der Auflösung der Hochschule geschehen ist. Auch hinsichtlich dieser Fragestellung erhoffen wir uns weitere Hinweise.

3) Ein geringer Teil des Nachlasses stammt aus Nordrhein-Westfalen, wo Emil Davidovic als Landesrabbiner tätig war. Darunter finden sich etwa Bücher der Israelitischen Kultusgemeinde Dortmund, der „Zeitgeschichtlichen Sammlung (um 1942) der Lippischen Landesbibliothek Detmold oder beispielsweise Bücher des Rabbiners Alfred Levy, der in der Zwischenkriegszeit in Bonn amtierte. Weitere Bücher mit dem Stempel „Jewish Relief Unit der Britischen Rheinarmee weisen darauf hin, dass es sich hier um bereits restituierte Exemplare handelt. Es ist möglich, dass diese und andere Bücher seitens der britischen Militärverwaltung zunächst der Jüdischen Nachkriegsgemeinde in Dortmund zur weiteren Verwendung überlassen worden waren. Auch hier ergeben sich zahlreiche neue Fragestellungen.

Das Projekt in aktuellen Zahlen

Gesamtbestand der Albert Einstein Bibliothek: ca. 58.000 Medieneinheiten

Nachlass des Rabbiners Emil Davidovic: ca. 6.000 Bände

Davon ca. 2.500 Bände vor 1945 erschienen

Davon ca. 1.900 Bände im elektronischen Katalog erfasst (= Gegenstand des Projekts)

Davon ca. 95% raubgutverdächtig

Davon ca. 80% mit verwertbaren Provenienzhinweisen (vorläufige Schätzung)

Weitere Informationen

Provenienzdatenbank Looted Cultural Assets: http://lootedculturalassets.de/

Projektinformationen auf der Website der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg: http://www.hfjs.eu/forschung/index.html

Bibliothek Albert Einstein der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg: http://www.hfjs.eu/bibliothek/index.html

(c) Hochschule für Jüdische Studien

Veröffentlichungen:
Deutsches Zentrum Kulturgutverluste (Hg.): Provenienz & Forschung. Bibliotheken, Heft 1/2021.