Spiegelsaal aus dem Palais Budge sowie Kunstsammlung (Puppenstube) Budge

Förderbereich:
NS-Raubgut
Zuwendungs­empfänger:
Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Bundesland:
Hamburg
Ansprechpartner:
Dr. Silke Reuther

E-Mailsilke.reuther@mkg-hamburg.de

Projekttyp:
Kurzfristig
Projektlaufzeit:
bis
Beschreibung:

Im Januar 2011 machte eine Berliner Anwaltskanzlei Ansprüche der Erben von Emma Budge gegenüber dem Hamburger Hotel „Vier Jahreszeiten geltend. Dessen einstige Inhaber hatten 1937 auf der von Paul Graupe in Berlin veranstalteten Auktion der Kunstsammlung von Emma Budge einen Gobelin erworben, der nun beansprucht wurde.

In diesem Kontext rückte auch das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg in den Fokus des Medieninteresses, da sich hier mehrere Objekte mit dieser Provenienz befinden, darunter der Spiegelsaal aus dem Budge-Palais. Die Recherchen im hauseigenen Archiv ergaben, dass der Sachverhalt zum Kunstbesitz aus der ehemaligen jüdischen Sammlung nicht hinreichend geklärt und dokumentiert ist, obwohl in diesem Zusammenhang 2002 Wiedergutmachungszahlungen geleistet wurden. Die Literatur zu Budge stellt den entziehungsbedingten Verlust von Grundbesitz, Vermögen und Kunstsammlung durchweg fest, doch eine beweiskräftige wie nachvollziehbare Darstellung des Sachverhalts liefert sie nicht. Daher hat sich das MKG entschlossen, mit einer eigenen Recherche zur Klärung beizutragen.

Der Spiegelsaal wurde 1987 im Nordhof des MKG wiederaufgebaut. 1980 ist er vom Abriss bedroht gewesen als die historistische Villa, in der seit 1959 die Hochschule für Musik und Theater Hamburg ansässig ist, einen Erweiterungsbau plante, dem der Pavillon samt Spiegelsaal weichen musste. In Zusammenarbeit mit dem Hamburger Denkmalschutzamt wurde die Innenraumdekoration ausgebaut und im Museum für Kunst und Gewerbe bis zum Wiederaufbau eingelagert.

Um 1900 hatten Henry (1840-1928) und Emma Budge (1852-1937) die 1884 von Martin Haller für den Schiffsmakler Ivan Gans erbaute Villa erworben und ließen sie von dem Hamburger Architekten zu einem Palais ausbauen, an das der Spiegelsaal 1909 angefügt wurde. Die Budges waren aus Deutschland stammende Juden, die in den Vereinigten Staaten von Amerika gelebt hatten und seit 1882 die amerikanische Staatsbürgerschaft besaßen. Sie wählten Hamburg, die Geburtsstadt von Emma Budge, zur Altersresidenz und ließen sich 1903 hier nieder.

Nach dem Tod von Henry Budge trat eine von seiner Frau getroffene Verfügung in Kraft, die vorsah, dass die in Deutschland zusammengetragene kunstgewerbliche Sammlung nach beider Tod dem MKG vermacht werden sollte. 1930 erweiterte Emma Budge diese Schenkungsabsicht und legte fest, dass auch die Villa zu gemeinnützigen Zwecken an die Stadt Hamburg gehen sollte. Wenige Monate nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 widerrief Emma Budge dieses Testament. Angesichts der sich zuspitzenden politischen Verhältnisse in Deutschland nahm sie bis zum Oktober 1935 mehrere Testamentsänderungen vor, in denen sie ausschließlich ihre jüdischen Verwandten bedachte. Die Umsetzung dieser Verfügung übertrug sie den von ihr bestellten jüdischen Testamentsvollstreckern Max M. Warburg, Hermann Samson, Ludwig Bernstein und Max Kronheimer.

Nach Emma Budges Tod wurde die Villa der Stadt Hamburg von einem Makler angeboten und kurze Zeit später, erheblich unter Wert, an diese verkauft. Das Palais Budge diente als Sitz des Hamburger Reichsstatthalters und NSDAP-Gauleiters Karl Kaufmann, der den Ankauf nach der anfänglich zögerlichen Haltung der Stadt, forciert hatte. Jenseits des deutlich unter dem Einheitswert liegenden Kaufpreises, stand diese Veräußerung im Widerspruch zu Emma Budges Testament, die eine Begünstigung Hamburgs in jedweder Form ausgeschlossen hatte. Dass dieser Verkauf unter Druck und infolge einer auf rassische Gründe zurückzuführenden Notlage der Erben zustande gekommen ist, belegen die Akten.

Ein Trinkgefäß in Gestalt eines Löwen und einen Nautiluspokal hat das Museum für Kunst und Gewerbe auf der Versteigerung des Nachlasses von Emma Budge im Oktober 1937 in Berlin erworben. Der Kunstbesitz der jüdischen Sammlerin stand im Auktionshaus Paul Graupe zum Verkauf. Den Auftrag zu dieser Versteigerung hatten die Testamentsvollstrecker erteilt. Sie handelten damit im Sinne der Erblasserin, die eine Verwertung ihres gesamten Nachlasses zugunsten der von Verfolgung bedrohten Erben in das Ermessen der Verantwortlichen gestellt hatte. Der Verkauf fand unlimitiert und nur mit einer inoffiziellen Preisschätzung statt, die nicht den handelsüblichen Erträgen entsprach, die für vergleichbar hochkarätige Objekte gezahlt wurden. Die Auktionserlöse flossen zwar auf ein Nachlasskonto, aber weder die Testamentsvollstrecker noch die Erben konnten darüber frei verfügen. Aus heutiger Sicht ist die Versteigerung der Sammlung Emma Budge auf eine verfolgungsbedingte Notlage zurückzuführen. Mit Hilfe eines transferierbaren Vermögens sollten die bereits emigrierten Erben bedacht, und den noch in Deutschland verbliebenen jüdischen Verwandten der Budges die Ausreise ermöglicht werden. Das wurde jedoch vom Oberfinanzpräsidenten und der Devisenstelle in Hamburg mit Nachdruck verhindert.

Der Tatbestand der Entziehung gilt auch für das Vermögen an Wertpapieren, das in einem Depot in Zürich verwahrt wurde. Unter Anwendung von Zwangsmaßnahmen, dem Einziehen von Reisepässen, der Androhung von Verlust der Staatsangehörigkeit oder der zeitweiligen Internierung in Konzentrationslagern, wurden die Erben unter Druck gesetzt, dass sie der Teilung des Nachlasses und dem Transfer von umfangreichen Vermögenswerten nach Deutschland zustimmten. Die Erträge aus dem Wertpapierhandel und dem Hausverkauf wurden ebenfalls dem Nachlasskonto gutgeschrieben. Aus diesem Vermögen wurden die überhöhten Erbschaftssteuerpflichten der Betroffenen abgegolten und diskriminierende Sonderabgaben, die Reichsfluchtsteuer und die ab 1938 erhobene Judenvermögensabgabe, bestritten. Die geringen Restbeträge, die einigen Erben ausgezahlt wurden, gingen auf so genannte Sperrkonten. Gegen sämtliche in Deutschland verbliebenen Miterben wurden „Sicherungsmaßnahmen nach dem Devisengesetz verhängt und somit das gesamte Vermögen der betroffenen Personen kontrolliert.

Da die Umstände der Versteigerungen der Sammlung Emma Budge als verfolgungsbedingt anzusehen sind, hat das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg für die beiden 1937 erworbenen Trinkgefäße im April 2002 eine freiwillige Entschädigung an die einzigen bislang bekannten Erben von Emma Budge gezahlt. Das Museum hat dafür Sorge getragen, dass die beiden silbernen Trinkgefäße in der Sammlung verbleiben konnten.

In der Nachkriegszeit gab es für das Palais Budge ein Wiedergutmachungsverfahren, das nicht mit einer Wiederherstellung der ehemaligen Besitzverhältnisse, sondern mit einer Nachvergütung endete, die bis heute umstritten und vor dem Hintergrund der Washingtoner Abkommens als unzureichend anzusehen sind. Da der Spiegelsaal dem Palais Budge zugehörig ist, hat sich das MKG entschlossen, hier mit eigenen Recherchen zur Klärung beizutragen. Vor dem Hintergrund der geleisteten Forschungen verständigte sich die Hansestadt Hamburg mit den Erben auf die Zahlung eines Abgeltungsbetrags für den Verlust der Immobilie.

Die Wiedergutmachung schließt den Spiegelsaal und ein Puppenhaus mit ein, das das Museum 1972 aus einer Hamburger Privatsammlung erworben hat. Es stammt ebenfalls aus der Sammlung Budge. Auf der Auktion war es unverkauft geblieben und gelangte später in den Kunsthandel.

(c) Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg