Anthropologist Swantje Grohmann (right) talking to a doctor during a computer tomography examination at the hospital Klinikum-Mitte-Gesundheit Nord in Bremen
Koloniale Kontexte

Übersee-Museum Bremen untersucht Schädel kolonialer Herkunft mit Computertomografie

Das Übersee-Museum Bremen hat CT-Aufnahmen von 73 mit Wachs oder Ton übermodellierten mutmaßlichen Ahnen-Schädeln aus dem heutigen Papua-Neuguinea erstellen lassen. Die Maßnahme erfolgte im Rahmen eines vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste geförderten Provenienzforschungsprojektes. Ziel ist es, das biologische Geschlecht der Betroffenen, Alter, Krankheiten und Todesursachen zu erforschen und damit einen Beitrag zur Rehumanisierung der bis jetzt anonymen Schädel zu leisten.

Die Com­pu­ter­to­mo­gra­fie wur­de in en­ger Ab­stim­mung mit dem Na­tio­nal Mu­se­um & Art Gal­le­ry Pa­pua-Neu­gui­nea am Kli­ni­kum Mit­te in Bre­men durch­ge­führt. Die Er­geb­nis­se wer­den mit En­de des drei­jäh­ri­gen Pro­ve­ni­enz­for­schungs­pro­jek­tes im Herbst 2022 ver­öf­fent­licht.

Die Ah­nen-Schä­del aus der Samm­lung des Über­see-Mu­se­ums sind mit Ton und Wachs über­mo­del­liert und mit Mu­scheln, Per­len und Far­be künst­le­risch ver­ziert. Die mit Wachs über­form­ten Schä­del stam­men von der In­sel Neuir­land, die mit Ton über­mo­del­lier­ten aus dem Se­pik-Ge­biet, dem längs­ten Fluss in Pa­pua-Neu­gui­nea. Ver­mut­lich wur­den die Schä­del im Zeit­raum von 1884-1914/18, al­so wäh­rend der Ko­lo­ni­al­zeit im da­ma­li­gen Deutsch-Neu­gui­nea, ge­sam­melt. Ins­ge­samt um­fasst die Samm­lung des Mu­se­ums 125 Schä­del aus Pa­pua-Neu­gui­nea.

Die Fra­ge nach der Her­kunft so­wie der Er­wer­bung der Schä­del spie­len bei der Un­ter­su­chung von Pro­jekt­lei­te­rin Bet­ti­na von Bri­s­korn ei­ne zen­tra­le Rol­le. Un­ter­stützt wird sie von der An­thro­po­lo­gin Swant­je Groh­mann, die mit­hil­fe von CT-Scans das bio­lo­gi­sche Ge­schlecht der Be­trof­fe­nen, Al­ter, Krank­hei­ten und To­des­ur­sa­chen zu er­mit­teln sucht. Denn bei über­mo­del­lier­ten Schä­deln er­mög­licht erst der CT-Scan ei­nen prä­zi­se­ren Blick auf den Schä­del.

„Die Er­geb­nis­se ei­ner an­thro­po­lo­gi­schen Un­ter­su­chung ins­be­son­de­re mit­hil­fe von CTs un­ter­stüt­zen ei­ne Re­hu­ma­ni­sie­rung der Schä­del, denn sie er­mög­li­chen es, sich dem Schick­sal der na­men­lo­sen In­di­vi­du­en zu nä­hern. Aus dem Mu­se­um­s­ob­jekt wird wie­der ein Mensch.“, sagt Bet­ti­na von Bri­s­korn. Dar­über hin­aus kann die Ana­ly­se der CTs auch Hin­wei­se lie­fern, die für die klas­si­sche Pro­ve­ni­enz­for­schung von Be­deu­tung sind. So kön­nen an­thro­po­lo­gi­sche Er­kennt­nis­se mit den An­ga­ben in al­ten Mu­se­ums­ver­zeich­nis­sen ver­gli­chen wer­den.

Am Se­pik über­form­ten die dort an­säs­si­gen Ge­mein­schaf­ten die Schä­del ih­rer Ah­nen mit Ton. Wäh­rend der Ko­lo­ni­al­zeit er­freu­ten sich die­se Schä­del bei Samm­lern aus Eu­ro­pa großer Be­liebt­heit. Es be­steht die Ver­mu­tung, dass häu­fig auch Schä­del von Fein­den mit Ton über­mo­del­liert und als Ah­nen­schä­del ge­stal­tet wur­den, um sie an die Samm­ler im Tausch ge­gen be­gehr­te Wa­ren, wie Äx­te und Mes­ser, ab­zu­ge­ben. Mit­hil­fe der CT-Auf­nah­men lässt sich für die über­mo­del­lier­ten Schä­del ge­ge­be­nen­falls er­mit­teln, ob die be­trof­fe­nen Per­so­nen ei­nes ge­walt­sa­men To­des ge­stor­ben sind.

An­ge­strebt wird ei­ne Rück­kehr der Schä­del nach Pa­pua-Neu­gui­nea, so­fern ih­re Her­kunft hin­rei­chend prä­zi­se er­forscht wer­den kann.

Anthropologin Swantje Grohmann (rechts) im Gespräch mit einer Ärztin während der Computertomographie-Untersuchung am Bremer Klinikum-Mitte – Gesundheit Nord