Untersuchung ausgewählter völker- und naturkundlicher Zugänge des Übersee-Museums Bremen aus der Zeit von 1933 bis 1945, deren Provenienz mutmaßlich auf eine verfolgungsbedingte Entziehung verweist

Förderbereich:
NS-Raubgut
Zuwendungs­empfänger:
Übersee-Museum Bremen
Bundesland:
Bremen
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Wiebke Ahrndt

PositionDirektorin des Übersee-Museums, Projektleitung

Tel.0421 160 38 - 101

E-Mailw.ahrndt@uebersee-museum.de

Projekttyp:
Langfristig
Projektlaufzeit:
bis
Beschreibung:

Das Übersee-Museum verfügt als ein Mehrspartenhaus über natur-, völker- und handelskundliche Bestände. Für den Zeitraum 1933 bis 1945 sind im Eingangsbuch des Hauses rund 1.200 Zugänge erfasst Einzelstücke oder Kollektionen. Von diesen fanden sieben als verdächtige Provenienzen Aufnahme in das Vorhaben. Nicht in allen Fällen ist es gelungen, die Herkunft eindeutig zu klären. Es gibt weiterhin Objekte, die eine bedenkliche Provenienz aufweisen. Auch brachten die Recherchen neue Verdachtsfälle ans Licht.

Durch die Beschäftigung mit der Herkunft von Naturalien und Ethnographica betrat das 2015/2016 durchgeführte Vorhaben ein in der NS-Provenienzforschung bisher wenig bearbeitetes Gebiet. Vor allem hinsichtlich der zwei entomologischen Zugänge aus den Jahren 1942 (Kaiser-Wilhelm-Institut) und 1945 (Property Control) zeigten sich Probleme. Da die Tiere in den zur Verfügung stehenden Unterlagen lediglich unspezifisch beschrieben waren, konnten sie nicht im Museumsmagazin unter 600.000 anderen Insekten identifiziert werden. Infolgedessen fehlte eine für die Provenienzrecherche wichtige Quelle: Die unter dem Körper des genadelten Individuums vorhandenen Etiketten, die in der Regel sowohl auf seine geographische als auch personenbezogene Herkunft verweisen.

Auch der Fall altamerikanischer Tonarbeiten, die der Bremer Unternehmer Ludwig Roselius 1938 stiftete, wurde nicht geklärt. Die Stücke könnten vom Kaffeekaufmann selbst in Peru erworben worden sein, es existieren aber ebenso Hinweise auf ihre mögliche Herkunft von einer Auktion. Bei der untersuchten Schenkung des Wehrwirtschaftsführers und Werftdirektors Franz Stapelfeldt von 1940 sind Fragen offen. Als Voreigentümer und Sammler, der dem Museum durch Stapelfeldt übereigneten Kollektion, die hauptsächlich aus geologischem Material besteht, konnte Georg Müldner von Mülnheim identifiziert werden. Die Umstände, die dazu führten, dass seine Witwe Jutta die Stücke an den Bremer Wertdirektor der „Deschimag veräußerte, bleiben jedoch unklar. Eine Verfolgung der Verkäuferin kann allerdings mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.

Unter den in das Projekt aufgenommenen Zugängen konnte ein Walrossschädel aus dem Bremer Rathaus in seiner Herkunft als unbedenklich ausgewiesen werden. Künstlerisch gestaltet, erfüllte er im Bürgermeisterzimmer ursprünglich dekorative Zwecke. Er gelangte zu einer Zeit in das Museum, als das Inventar des Rathauses im Sommer 1942 durch Auslagerung vor dem Luftkrieg in Sicherheit gebracht wurde. Ebenso ist ein Zugang aus dem Gebrauchtmöbelhandel unverdächtig. Das Museum kaufte 1936 einen Schrank, der „exotische Tiere aus Brasilien enthielt. Von diesen konnten die Vogelbälge dem Bremer Tabakkaufmann Reinhard Wilhelm Bädecker als Sammler zugewiesen werden. Bädecker hielt sich in den 1890er Jahren als junger Mann zu Ausbildungszwecken in Brasilien auf, sodass auch die anderen Tiere wohl auf ihn zurückgehen. Sein Schrank gelangte vermutlich in die „Möbelmarkthalle des Gerhard Klöfkorn, als er Ende 1934 für einige Jahre aus der Hansestadt wegzog.

Dem Themenkreis „verfolgungsbedingten Entzug nicht zuzurechnen, ist ein anderer Zugang, der Aufnahme in das Projekt fand. Dabei handelt es sich um Humanpräparate (vier menschliche Föten, zwei Herzen und andere Organteile), die 1935 von einem Bremer Arzt dem Museum übergeben wurden. Hier lautete die Frage, ob diese aus einem Unrechtszusammenhang herrühren, wie er für den NS im Zusammenhang mit dem Leichenbezug von anatomisch-pathologischen Einrichtungen bekannt ist oder ob ihre Herkunft gar mit dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses in Verbindung steht. Ein endgültiges Ergebnis der Suche kann auch bezüglich dieses Zugangs nicht benannt werden. Die Provenienz aus der Bremer Pathologie ist wahrscheinlich, doch fehlen Quellen, wie Sektionsbücher und ähnliche Dokumente, um dies zu überprüfen und eine zeitliche Einordnung vorzunehmen.

Auch wenn die genaue Provenienz in mehreren Fällen weiterhin unbekannt ist, lieferten die Recherchen neue Erkenntnisse zur Geschichte des Übersee-Museums im Nationalsozialismus, insbesondere der naturkundlichen Abteilung. Dazu konnte die Provenienz einer Sammlung aus den 1920er Jahren ermittelt werden. Der die Humanpräparte einliefernde Bremer Arzt überließ dem Museum auch eine größere Kollektion von asiatischen Kunstobjekten. Durch die Recherchen zu seiner Person hat das Haus nun Informationen erlangt, die eine Grundlage liefern für eine eingehendere Beschäftigung mit diesen Stücken.

Im Insektenbestand wurde der Laienentomologe Michael Aigner identifiziert, zu dem bisher im Haus aber auch in der Fachwelt nichts bekannt war. Ebenfalls dem insektenkundlichen Bereich zugehörig und als „neu entdeckt sind Tiere, die auf den als Juden verfolgten Zoologen Hans Bytinski-Salz zurückgehen, zu nennen. Hier wäre eine Untersuchung notwendig. Gleiches gilt für zwei bekannt gewordene Fälle möglichen verfolgungsbedingten Entzugs: Die Zugänge Kunsthandlung R. Wagner/Berlin und Alba Franzius.

Die Ergebnisse des Vorhabens fließen in eine neue Dauerausstellung zur Geschichte des Hauses ein und werden publiziert.

© Übersee-Museum

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