Wissenschaftliche Tiefenerschließung ausgewählter Bestände des Schlossmuseums Jever im Hinblick auf unrechtmäßig angeeignetes Sach- und Schriftgut aus dem Besitz jüdischer Bürger Jevers und Frieslands in den Jahren 1933 bis 1945

Förderbereich:
NS-Raubgut
Zuwendungs­empfänger:
Schlossmuseum Jever
Bundesland:
Niedersachsen
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Antje Sander

PositionMuseumsleiterin

Tel.+ 49 (0) 4461 969 35 0

E-Mailinfo@schlossmuseum.de

Christiane Baier

Tel.+49 (0) 4461 969 35 34

E-Mailc.baier@schlossmuseum.de

Projekttyp:
Langfristig
Projektlaufzeit:
bis
Beschreibung:

Ausgehend von den in der vorausgegangenen kurzfristigen Maßnahme gewonnenen Ergebnissen wird eine umfassende systematische Durchsicht, d.h. eine wissenschaftliche Tiefenerschließung verschiedener Bestände des Schlossmuseums Jever durchgeführt.

Diese Tiefenerschließung betrifft zum einen die jüdischen Kultgegenstände und das Schriftgut im Archiv des Museums (sogenannte „Judenakten), bei denen sich bereits zuvor ein Verdachtsmoment ergeben hatte (s. kurzfristiges Projekt), zum anderen aber auch ganze Bestandsabteilungen, d.h. Zinn-, Silber-, Porzellan-, Möbelbestände sowie Bücherbestände. Aufgrund von Hinweisen aus der Bevölkerung Jevers und Umgebung, u.a. durch Informationen von Zeitzeugen, bzw. aufgrund eines Hinweises der Kunsthalle Bremen auf eine Bücherschenkung des Sammlers Arnold Blome an den Jeverländischen Altertums- und Heimatverein hatte sich der Verdacht auf belastete Objekte auch innerhalb dieser Bestände erhärtet.

In dieser Untersuchung wird neben den Objekten und Archivalien des Schlossmuseums Jever auch bislang noch nicht gesichtetes Aktenmaterial des Stadtarchivs Jever sowie des Landkreises Friesland berücksichtigt.

Das Schlossmuseum Jever verfolgt das Projekt mit Nachdruck und hat sich zum Ziel gesetzt, sämtliche Objekte mit Verdachtsmoment zu eruieren und deren Geschichte möglichst lückenlos nachzuweisen.

Ein weiteres Ziel stellt die Kontextforschung dar, wobei zunächst Kurzbiographien/ -beschreibungen der relevanten handelnden historischen Personen und Institutionen im Vordergrund stehen. Seit Beginn der langfristigen Maßnahme werden in Forschungsberichten neue Erkenntnisse zur Sammlungsgeschichte des Museums in der nationalsozialistischen Zeit, z.B. zur Auslagerung der Objekte während der Kriegsjahre ins Salzbergwerk Grasleben, sowie zu den Aktionen weiterer Mitglieder des Jeverländischen Altertums- und Heimatvereins in verantwortlicher Position, wie etwa des Schlossmuseumsleiters Georg Janßen-Sillenstede und des Archivleiters Georg Andrée dargelegt.

Projekt in Zahlen

Mangels im relevanten Zeitraum professionell geführter, lückenloser Inventarbücher wird seit Oktober 2015 eine gesonderte digitale Objektdatenbank aufgebaut, in der sämtliche in den Jahren 1933 bis 1945 im Schlossmuseum Jever eingegangenen Objekte erfasst werden. Inzwischen finden sich darin rund 500 Objekte dokumentiert.

Grundlage für diese Datenbank sind Informationen über Objektzugänge, die verschiedensten Archivalien entnommen sind. Darunter zählen u.a. die Inventarbücher des Museums, die Protokollbücher sowie Korrespondenzen / Schriftgut des Jeverländischen Altertums- und Heimatvereins und eine Reihe von Zeitungsartikeln im Jeverschen Wochenblatt.

Mit Abschluss der letzten Förderphase Ende September 2018 sind insgesamt 2.970 Objekte überprüft worden. Diese hohe Zahl ergibt sich aufgrund der Durchsicht der umfangreichen Bücherstände.

Acht Objekte können eindeutig als NS-Raubgut deklariert werden. Dazu zählen nicht nur die Judaica und weitere Objekte aus anderen Beständen (Gemälde, Münze, Mobiliar), die zwischen 1933 und 1945 eingegangen sind, sondern auch eine Schenkung (Zinnobjekte) aus dem Jahr 2014.

Die Provenienz von 81 Objekten gilt als bedenklich, darunter fallen 77 Titel aus der Schenkung Arnold Blome.

Insgesamt ist die Zahl der Objekte, für die weiterhin (dringend) Forschungsbedarf besteht, so hoch, dass eine Verstetigung der Provenienzrecherche im Schlossmuseum sich als sinnvoll erweist und daher ab Mitte 2019 geplant ist.

Auflistung der für das Projekt relevanten handelnden historischen Personen und Institutionen

Jeverländischer Altertums- und Heimatverein e.V.:

Martin Folkerts (*1902 +1974) Bürgermeister Jevers und Vorsitzender des Jeverländischen Altertums- und Heimatvereins, Amtszeit 1937-1945, war ab 1950 wieder als Vorsitzender des Vereins tätig;

Karl Fissen, Studienrat und Heimatforscher, (*1885 in Jever +1978 in Oldenburg)

Carl Woebcken, Pastor und Heimatforscher (*1878 in Neuenburg +1965 in Jever)

Georg Janßen-Sillenstede, Heimatforscher, Schlossmuseumsleiter in Jever (1877-1947)

Georg Andrée (*1885 in Jever +1957 in Jever) Gymnasiallehrer, Heimatforscher, zuständig für Bibliothek und Archiv des Schlossmuseums Jever seit 1926,

Heinrich Wille (+1904 in Bremen +2001 in Jever), freier Journalist und Autor, Schriftführer seit 1935

Heimatverein Jever:

Friedrich A. Lange, Chefredakteur des „Jeverschen Wochenblattes, Vorstandsmitglied des Heimatvereins Jever in den 1920er Jahren, Gründungsmitglied der NSDAP in Jever, verantwortlich für die Verbreitung der nationalsozialistischen Ideologie bereits in der 1920er Jahren

Weitere Personen:

Paul Anton Liebenow (*12.11.1901 in Schwerin, +18.12.1977 auf Borkum) Gärtnergehilfe, 1933 Amtsvollziehungsgehilfe in Jever, 1936 Leiter und Geschäftsführer der Altmaterialsammelstelle in Jever, seit 1929 Mitglied der NSDAP, maßgeblich an der Zerstörung der jeverschen Synagoge beteiligt und im Synagogenbrandprozess 1951 Verurteilt

Überregional:

Händler:

Robert Ball Nachfahren, Münzhändler in Berlin, Französische Straße 17, seit 1913 im Besitz des jüdischen Ehepaares Hugo und Johanna Grünthal. Die Firma erlosch im Jahr 1941. Hugo Grünthal verstarb 1943 in Berlin, seine Frau emigrierte in die USA und verstarb 1969 in New York. Eine Wiedergutmachungsakte, bezogen auf die Firmenliquidation 1941, ist im Landesarchiv Berlin überliefert.

Arnold Blome (1894-1972) Kunstsammler, Händler und Künstler, Bremen, schenkte Objekte aus seiner Sammlung an zahlreiche Institutionen, darunter dem Jeverländischen Altertums- und Heimatverein, der in den Jahren 1957 bis 1961 mindestens 200 Bücher aus seinem Besitz, u.a. Bismarck-Literatur mit Erscheinungsdatum vor 1945 erhielt. Die Provenienzen sind nicht geklärt und deswegen bedenklich, da Blome auch auf verschiedenen Versteigerungen von jüdischem Umzugsgut in Bremen 1942/43 Objekte erworben hat.

Künstler:

Fritz ten Cate, Porträtmaler, auch tätig als Gemälderestaurator, Hamburg, verkaufte 1940/1941 das aus dem Besitz jeverscher Juden stammende Gemälde „Kasperletheater auf dem Kirchplatz (um 1845) von F. Barnutz an den Jeverländischen Altertums- und Heimatverein (bislang keine näheren Informationen zur Person und zu Zeitpunkt und Umständen des Gemäldeerwerbs durch ten Cate ermittelbar)

(c) Schlossmuseum Jever