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SBZ / DDR

Hilfsmittel oder eigenständiges Kulturgut?

Tagungsbericht zur Jahreskonferenz 2024 des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste: „Provenienzforschung und Fotografie“ am 18. April und 19. April in Leipzig
Christoph Rippe

Am 18. und 19. April 2024 fand in der Bibliotheca Albertina der Universitätsbibliothek Leipzig die Jahrestagung des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste statt. Im Laufe der zwei Tage präsentierten 26 Expert:innen ihre Forschungen im Rahmen der vielfachen Verbindungen zwischen Provenienzforschung und Fotografie. Im Vorlauf zur Konferenz waren Beiträge auf dem Blog des Zentrums erschienen, wie auch eine Ausgabe des Periodikums Provenienz & Forschung.

Zunächst stellte Jens Jäger in seiner Keynote kontextübergreifend Überlegungen zu den historischen Bedingungen fotografischer Praxis an, zu den Möglichkeiten und Grenzen der Fotografiegeschichte im Rahmen von NS- und Kolonialgeschichte, wie auch zu den Notwendigkeiten der Digitalisierung, um Forschung zu ermöglichen. Im Folgenden setzten sich zehn der Vorträge hauptsächlich mit dem Kontext des NS-Regimes auseinander, acht mit kolonialen Kontexten, und ein Vortrag thematisierte den privaten Kunsthandel in der DDR.

Dabei fiel auf, dass sich Beiträge zu NS- und DDR-Kontexten vornehmlich mit Forschung zu Kunstwerken beschäftigten, wobei Fotografie als Nachweis für deren historische Präsenz diente. Lediglich zwei Beiträge hatten Fotografien von jüdischen Personen im Fokus, ursprünglich mit scheinbar dokumentarischen oder  wissenschaftlichen Funktionen. Beispiele aus kolonialen Kontexten hingegen bezogen sich ausschließlich auf Fotografien von Menschen, wenn man von einem Beitrag zu Fotografien im Rahmen archäologischer Ausgrabungen absieht.

Eingeteilt waren die Vorträge in fünf Themenbereiche, die sich dem Thema „Provenienzforschung und Fotografie“ einerseits über Fragen zu zeitlichen Kontexten und andererseits über die materiellen Umstände der Fotografien annäherten:

(1) Wie können Fotografien heute als Quellen für Provenienzforschung verwendet werden? Zunächst legte Agnes Matthias in einer weiteren breiten Einführung unter anderem dar, wie Fotografien trotz ihrer Verbindung mit Unrechtskontexten nützlich sind, um den Weg dargestellter Objekte zurückzuverfolgen, beispielsweise durch Konsultation von Negativen, die in Randbereichen wichtige Informationen bewahren, welche in gedruckten Versionen beschnitten waren. Lisa Frank zeigte, wie durch Verweise zwischen Fotografien, in denen dieselben Objekte auftauchen, Zeiträume verbunden werden können und sogar abgebildete Kalender und Zeitungen zur Datierung der Handlungszeiträume dienen können. Mit drei Beispielen innerhalb eines Rekonstruktionsversuchs der historischen anatomischen Sammlung der Universität Jena präsentierten Ulrike Lötzsch und Kristina Scheelen-Nováček die ethische Komplexität der Erforschung, Bewahrung und Präsentation von menschlichen Überresten aus europäischen und außereuropäischen Kontexten.

(2) Wie wurden Fotografien in verschiedenen Zeitperioden verwendet und so ihre jeweiligen Eigenheiten konstituiert? Adrian Lindner zeigte die diachronen Verwendungsweisen einer Fotografie des indonesischen antikolonialen Kämpfers Demang Lehman. Claudia Müller und Toni Hanel führten unter anderem aus, wie durch die Einbindung der Bevölkerung von Dresden (Zeitzeug:innen gesucht!) und die methodische Verwendung von Fotografien hierbei zusätzliche Informationen zum Kunsthandel in der DDR erarbeitet wurden. Zuletzt besprach Marco Rasch die Möglichkeiten der Provenienzforschung, wie sie die Fotobestände in der Fotothek Marburg eröffnen, die im Zusammenhang der „Kunstschutzkampagnen“ während der beiden Weltkriege stehen. Auch hier kam die Frage auf, wie eine Kontextualisierung von Fotografien durch Online-Stellung und die Ansprache der Öffentlichkeit möglich sei.

(3) Was sind sensible Bildinhalte und was macht Bilder somit selbst zu sensiblen Objekten? Die drei Beiträge von Lisa Hilli, Alina Bothe und Lisa Paduch (#lastseen Bildatlas) sowie von Margit Berner (z.B. Der kalte Blick) näherten sich dem scheinbaren Widerspruch an, wie die allgemeine Forderung nach Transparenz von fotografischen Sammlungsbeständen und deren ethisch verantwortungsbewusste Präsentation vereinbart werden können. Ähnlich den Bemühungen der Provenienzforschung versuchten die drei Beiträge, Beziehungen zwischen den Abgebildeten und ihren Nachkommen zu erkunden. Letztendlich wurde auch der Umgang mit den Emotionen thematisiert, die unter anderem durch das oben genannte Dilemma entstehen können.

(4) Der Initialbeitrag und das erste Panel des zweiten Tages näherten sich Sammlungen über das Konzept und die Praxis des „Archivs“. Die Beitragenden skizzierten also vor allem strukturelle Übersichten fotografischer Archive und deren Relevanz für die Provenienzforschung: Christian Fuhrmeister, Cosima Dollansky und Lena Schneider für das Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München, Birgit Sporleder für die Staatlichen Museen zu Berlin, Nathalie Neumann zu verschiedenen kunsthistorischen Sammlungen in Frankreich, Dagmar Thesing und Miriam Cockx zu Kölner Bildarchiven, Katharina Hüls-Valenti zu den Archiven der Italienischen Ausfuhrämter (vgl. Dokumentation 3Sat), und nicht zuletzt Lucia Halder zu dem Bildarchiv des ethnologischen Rautenstrauch-Joest-Museums in Köln.

(5) Die vier Beiträge des letzten Panels konzentrierten sich schließlich auf Fragen zum Umgang mit Fotografien in der Jetztzeit. Dem vorangestellt sei, dass alle Vortragenden der Konferenz ein hohes Maß ethischer Sensibilität zeigten, indem sie rechtzeitig auf potentiell verstörende Bilder hinwiesen und diese im Livestream ausgeblendet wurden. Neben Alona Dubovas und Andrea Bambis Ausführungen zur Restitution von Fotografien besprach Stefanie Schien in diesem Panel kuratorische Ansätze zu Fotografien in Ausstellungen. Julia Richard präsentierte Möglichkeiten der künstlerischen Wiederaneignung von Fotografien, die bereits Lucia Halder angesprochen hatte.

Ein Konsens unter den Vortragenden war die seit über zwanzig Jahren sich verstetigende Auffassung, dass Fotografien, analog und digital, immer auch eine materielle Grundlage mit einer eigenen Biografie haben. Wie Agnes Mathias es einführend formulierte, können Fotografien schließlich als diskursiver Anstoß dienen (Foto als Quelle allgemein), selbst Objekte der Recherche sein (Fotos als Objekte von Rückgabe und Restitution), oder auch Fahndungsfotos für andere Objekte (Foto als „Substitut“ für Kunstwerk).

Fotografien können in allen Fällen sensible Qualitäten haben, wenn sie z.B. sakrale Objekte darstellen, wenn es sich um anthropometrische Aufnahmen handelt oder um solche toter Menschen. Menschenunwürdigen Darstellungen wie Versklavung, Haft, Folter, Krankheit und Entkleidung müssen auch solche hinzugefügt werden, die nur durch eine genaue Analyse ihres Kontexts als sensibel erkennbar werden. Präsentierende wie Margit Berner zeigten den Umstand auf, dass auch bei anthropologischen Fotografien aus Europa und der öffentlichen Auseinandersetzung mit diesen in Ausstellungen ethische Bedenken schon seit mehreren Jahrzehnten eine Rolle spielen. Während der Diskussionen zu Panels 1, 3 und 5 kamen Fragen zum emotionalen Umgang mit sensiblen Fotos auf, aber auch zum Sprechen und Schreiben über und Zeigen von Fotos. Formalisierte ethische Richtlinien, so die meisten Sprecher:innen, seien schwierig zu erstellen, da individuelle Konstellationen von Fotos, Akteur:innen und Betroffenen unterschiedliche Umgangsformen erfordern.

Letztendlich zeichneten sich während der Konferenz unterschiedliche Themenkomplexe ab. Menschliche Schicksale wurden in Präsentationen zu NS-Kontexten vornehmlich über Objektbeziehungen dargestellt und in kolonialen Kontexten über direkte Abbildung der Betroffenen. Die meisten Präsentierenden setzten sich so mit den Provenienzen der auf Fotografien abgebildeten Objekte oder mit der Rekonstruierbarkeit von Genealogien der abgebildeten Personen auseinander, oft aber nicht mit den Provenienzen der Fotografien selbst. So entstand eine Unterscheidung zwischen Fotografie als Hilfsmittel (Forschungsquelle und -werkzeug) einerseits, und als zentrales Objekt der Forschung andererseits. Annäherungen zu letzterem Punkt mit Fotografien im Fokus von Rückgabebemühungen brachten Alona Dubova für koloniale Kontexte und Andrea Bambi für einen Fall um die jüdische Familie der Fotografin Aenne Biermann (vgl. Dokumentation ARD). Abwesend waren Beispiele zur Verwendung von Fotografien als Quellen für die Provenienzforschung zu Museumsobjekten in kolonialen Kontexten, obwohl Jens Jäger dies maßgeblich in seiner Einführung behandelte. Weitere Ausführungen zu diesen Komplexen finden sich in der begleitenden Ausgabe von Provenienz & Forschung.

In seinem Schlusswort bemerkte der Vorstand des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste, Gilbert Lupfer, dass ein wachsender Austausch zwischen NS- und Kolonialkontexten sehr wünschenswert sei, da es neben den Unterschieden dieser Bereiche auch Gemeinsamkeiten gibt. Für beide Bereiche hatten Präsentierende wiederholt aufgezeigt, dass wesentlich mehr finanzielle Mittel notwendig sind, nicht nur für die Erschließung und Digitalisierung von Bildbeständen, sondern auch zur Erstellung von Strategien, diese zu präsentieren - und schließlich für die notwendigen Personalstellen, um dies umzusetzen.

Abgeschlossen wurde die Konferenz mit einem Workshop zur Sammlung, Verwendung und Präsentation von (Arbeits-)Fotografien, die Provenienzmerkmale wie z.B. Stempel und Aufschriften jeglicher Art dokumentieren (angeboten von Nadine Kulbe von der Sächsischen Landesbibliothek, Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, und Stephan Kummer von der Zentral- und Landesbibliothek Berlin). Ausgehend von der Annahme, dass der Begriff „Metadaten“ ursprünglich der bibliothekarischen Praxis entstammt, wären eben solche konventionellen Praxisformate sinnvolle Vergleichsmomente zwischen den Disziplinen der Bibliothekswissenschaften, Kunstgeschichte, Naturwissenschaften und der Ethnologie. Dies würde nicht nur die fachspezifischen Konventionen der ursprünglichen analogen Einschreibungen von Metadaten erhellen, sondern auch deren Interpretation durch Provenienzforscher:innen derselben Disziplinen heute.

Notwendig ist darum auch ein besseres gegenseitiges Verständnis des etablierten Vokabulars von provenienzbezogenen Begriffen zwischen den Disziplinen und Medien. Beispielsweise verwendet der NS-Diskurs oft den Rechtsbegriff „Erbengemeinschaft“, während für koloniale Kontexte noch oft pauschal der zunehmend kritisierte Begriff „Herkunftsgesellschaft“ verwendet wird (engl.: „source community“, gelegentlich auch übersetzt als „Ursprungsgesellschaft“ etc.). Einer der Unterschiede ist, dass erstere sich als Interessengemeinschaft innerhalb einer etablierten Rechtssprechungssituation verstehen, während Repräsentant:innen z.B. der Nama im heutigen Namibia nicht notwendigerweise gemeinsame politische und rechtliche Interessen vertreten. Aber auch das Medium Fotografie verlangt komplexere Umschreibungen seiner Akteure und deren Praktiken. Als Fotograf:innen sind Vertreter:innen des NS-Regimes oder Kolonisator:innen auch Produzent:innen und haben so im Vergleich mit der Verbringung von dreidimensionalen Objekten stärkere Bezüge zu den Provenienzen von Fotografien.

Sie finden Aufzeichnungen aller Beiträge, das vollständige Programm sowie ein Booklet in der Veranstaltungsdokumentation.

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Bibliotheca Albertina der Universitätsbibliothek Leipzig